© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Geschichtliche Extremfälle
Der 20. Juli im Spiegel der bundesdeutschen Politik
Christian Vollradt

Der 20. Juli 1944 ist „Ausdruck der Selbstachtung unseres Landes und des Patriotismus, auf den Deutschland dringend angewiesen ist“, so bewertet es Rüdiger von Voss in seiner Studie über die Traditions- und Rezeptionsgeschichte des militärischen Widerstands. Voss, Mitbegründer der „Stiftung 20. Juli 1944“, ist Sohn des dem traditionsreichen Infanterieregiment „Graf 9“ angehörenden und am Widerstand in der Heeresgruppe Mitte beteiligten Stabsoffiziers Hans Alexander von Voss (Schwiegersohn des Generals Joachim von Stülpnagel), der am 8. November 1944 den Freitod gewählt hatte, mit diesem Metier bestens vertraut. 

Am aufschlußreichsten für die Rezeptionsgeschichte des 20. Juli ist seine Schrift dort, wo er die Schwerpunktsetzungen in den Politikerreden angesichts des jeweiligen Zeitgeistes zusammengefaßt referiert. So betonte Willy Brandt (SPD), der Widerstand dürfe nicht als „nationales Alibi“ mißbraucht werden, sein Nachfolger Helmut Schmidt rief (auf dem Höhepunkt des Kampfes gegen den RAF-Terror) zur „Wachsamkeit gegen jedweden Extremismus“ auf.

Manche Äußerungen – vor allem der Bundespräsidenten – in den offiziellen Würdigungen lassen dagegen durchaus aufhorchen. Ausgerechnet der konservative Heinrich Lübke hat 1964 in einer Rede den gesamten Widerstand (einschließlich des kommunistischen) gerühmt. Und der linksliberale Gustav Heinemann beklagte 1969, die Alliierten hätten dem deutschen Widerstand gegen Hitler „kein Zeichen für einen Frieden der Verständigung an die Hand gegeben“. Eine große Übereinstimmung mit den Werten und Überzeugungen des konservativen Widerstands äußerte Walter Scheel 1976, und Karl Carstens stellte 1981 fest, das Attentat vom 20. Juli 1944 sei ein Symbol dafür, daß „in deutschem Namen nicht nur Unrecht getan wurde“.

Interessant ist auch, wie Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) 1974 in einem Artikel klarstellte, daß der „geschichtliche Extremfall“ keine Handlungsmaximen für das „Leben in der Normalität“ liefern könne; offenbar in der Sorge, mancher seiner Offiziere könnte unter dem damals allgegenwärtigen Linkstrend die Aufforderung zur Gewissensentscheidung falsch verstehen.

Rüdiger von Voss: Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 Politische Rezeption und Traditionsbildung in der Bundesrepublik. Lukas Verlag, Berlin 2011 gebunden, 159 Seiten, 19,80 Euro

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