© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Viel Prachtvolles wartet auf die Umzugskisten
Guido Hinterkeuser präsentiert die vorhandene Innenausstattung des Berliner Schlosses / Plädoyer für eine weitere Rekonstruktion
Marcus Schmidt

Vier Tage lang brannte im Februar 1945 das Berliner Stadtschloß, fraßen sich die Flammen durch die Jahrhunderte, durch die kostbar ausgestatteten Prunkräume und Festsäle, in denen einst Preußens Könige und deutsche Kaiser geherrscht und vor allem repräsentiert hatten. Vorbei, verbrannt zu Staub zerfallen. Die leere, vom Feuer ausgeweidete Hülle des Schlosses fiel wenige Jahre später der ideologischen Verblendung des SED-Regimes zum Opfer. Doch während die prachtvolle Barockfassade Andreas Schlüters in den kommenden Jahren wiederauferstehen soll und dem neu entstehenden Humboldt-Forum ein altbekanntes Gesicht geben wird (JF 19/12), bleiben von der einstigen Innenausstattung nur viele Schwarz-weiß- und einige wenige Farbfotos als Erinnerung. Der Rest ist verloren, für immer. Tatsächlich?

In einer bemerkenswerten Fleißarbeit hat jetzt der Kunsthistoriker Guido Hinterkeuser mit Hilfe alter Inventarlisten den Nachweis geführt, daß ein knappes Drittel des Vorkriegsinventars des Schlosses, immerhin etwa 600 Kunstwerke, noch existiert. Gut hundert dieser Ausstattungsstücke – Gemälde, Skulpturen, Porzellan, aber auch Möbel – die zu einem Gutteil in anderen preußischen Schlössern oder Depots untergekommen sind, stellt der Autor in dem vorliegenden Band vor. Die Tatsache, daß die Hohenzollernresidenz komplett verlorenging, habe völlig zu Unrecht zu der Meinung geführt, die Ausstattung habe dasselbe Schicksal erlitten, macht Hinterkeuser deutlich.

Das von der „Gesellschaft Berliner Schloß“ herausgegebene Buch ist nicht ohne Hintersinn gerade jetzt erschienen. Nachdem die Schlacht um die Rekonstruktion der historischen Fassade mit einem beachtlichen Erfolg der Schloßbefürworter geendet hat, bahnt sich nun eine Diskussion um die Wiederherstellung einiger der wichtigsten Innenräume des Schlosses an. Dies ist in den Bauplänen des italienischen Architekten Franco Stella für das Humboldt-Forum explizit vorgesehen. Die Grundrisse berücksichtigen die wichtigsten Prunkräume und machen eine originalgetreue Nachbildung der reichen Innenausstattung zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Mit dem Buch will die Schloßgesellschaft, die nicht mit dem Schloßbauverein von Wilhelm von Boddin identisch ist und sich neben der Rekonstruktion der Hülle auch für die Neuschöpfung möglichst vieler Innenräume einsetzt, die anhebende Debatte befeuern.

Seinen Reiz gewinnt der reich bebilderte Band durch die Gegenüberstellung historischer Bilder der Innenräume mit aktuellen Aufnahmen der auf den alten Fotos zu sehenden Bilder und Möbel, die sich erhalten haben, sowie einer eingehenden Beschreibung der Kunstwerke. Gleichzeitig führen die zahlreichen Originalaufnahmen einmal mehr eindringlich vor Augen, welche Pracht und welche Kunstwerke trotz der geretteten Objekte vernichtet wurden.

Daß eine Wiederherstellung der künstlerisch außerordentlich wertvollen Innenräume handwerklich auch heute durchaus möglich ist, zeigt der Stadtschloßkenner Hinterkeuser beispielhaft anhand der Rekonstruktion des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Goethe-Hauses in Frankfurt am Main sowie der Schlösser in Warschau, Dresden und Mannheim. Hier wurden, teilweise erst in den vergangenen Jahren, historische Prunkräume in ihrer ganzen Pracht wiederhergestellt und mit den erhaltenen originalen Einrichtungsgegenständen und Kunstwerken ausgestattet.

Der Autor verweist darauf, daß viele überkommene Ausstattungsstücke nur in einem rekonstruierten Raum zur Wirkung kommen. Als anschauliches Beispiel führt er das berühmte barocke Berliner Silberbuffet an, das den Krieg und die Verschleppung in die Sowjet-union fast unbeschadet überstanden hat und nun im Kunstgewerbemuseum im Köpenicker Schloß gezeigt wird. Es sei eine bestechende Vorstellung, wenn es wieder an seinen originalen Platz an der Ostwand des rekonstruierten Rittersaals zurückkehren würde, schwärmt Hinterkeuser.

Ihm geht es bei seinem Plädoyer für die vergangene Pracht nicht um unrealistische Maximalforderungen nach einer kompletten Rekonstruktion der historischen Raumfluchten, sondern darum, zumindest einige der wichtigsten Räume wenn nicht immer komplett so doch zumindest teilweise wiederherzustellen, um den Schloßcharakter auch im Inneren erfahrbar zu machen und die bis 2019 rekonsturierte Fassade nicht allein zu einer Hülle für das geplante Humboldt-Forum zu degradieren. „Nur so würde die Rekonstruktion der Fassaden einen tieferen Sinn bekommen“, glaubt der Autor. Die Diskussion um die zweite Phase der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses ist eröffnet. Das vorliegende Buch ist hierfür eine unentbehrliche Argumentationshilfe.

Guido Hinterkeuser: Das Berliner Schloß. Die erhaltene Innenausstattung. Gemälde, Skulpturen, dekorative Kunst. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2012, broschiert, 176 Seiten, Abb., 14,95 Euro

Foto: Rote Samtkammer der Paradekammern im Berliner Schloß, um 1935. Die Thronbank aus der Zeit von Kurfürst Friedrich III. wurde 1958 von der Sowjetunion zurückgegeben und befindet sie sich im Schloß Charlottenburg: Den Schloßcharakter auch im Inneren des rekonsturierte Berliner Schlosses wieder erfahrbar machen

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