© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Lockerungsübungen
Entzauberte Experten
Karl Heinzen

Die 170 um Hans-Werner Sinn gescharten Ökonomen haben sich mit ihrer Kritik an den EU-Beschlüssen zur Bankenunion schroff gegen den gemeinsamen Willen von Regierung und Opposition gestellt. Die Entscheidung ist allerdings bereits gefallen. Daher ist es nicht erforderlich, daß sich die Politik mit ihren Argumenten auseinandersetzt. Dürften sie somit im Sinne ihres Anliegens nichts bewegen, so haben sie doch unverhofft eine Grundsatzdebatte angestoßen. Diese kreist um die Frage, was der Rat von Experten überhaupt wert ist, und wurde von Norbert Lammert in einem Interview mit dem SWR eröffnet.

Fachleute, so der Bundestagspräsident, hätten sich in der Krise als nicht hilfreich erwiesen. Von allen möglichen Vorgehensweisen, die man in den vergangenen Monaten zu ihrer Bewältigung hätte in Betracht ziehen können, wäre der Versuch, die Empfehlungen von Experten umsetzen zu wollen, am wenigsten praktikabel gewesen. Diese Experten könnten sich nämlich in keiner einzigen relevanten Frage auf eine gemeinsame Meinung verständigen. Wollte die Politik sich auf sie verlassen, würde sie damit ihre Entscheidungsunfähigkeit zu Protokoll geben.

Was die Wirtschaftswissenschaften betrifft, ist Lammerts Schelte keineswegs unbegründet. Die Schulden-, Währungs- und Wirtschaftskrise hat die Ökonomen weltweit überrascht und ihre Gewißheiten und Modelle erschüttert. Die Politik kann und darf ihnen daher nicht länger Einfluß einräumen. Wenn Eile geboten ist, darf sie sie nicht einmal anhören, um notwendige Entscheidungen nicht zu verschleppen.

Damit stellt sich aber die Frage, wer in einer Demokratie wie der unseren überhaupt die Richtung vorgeben kann. Die Bürger als sogenannter Souverän scheiden hier aus, da sie schlecht informiert, launisch und unverantwortlich sind. Die Hoffnung richtete sich auf Experten, die unparteiisch und sachorientiert die komplexen Fragen unserer Zeit durchdringen würden. Nun ist auch ihr Nimbus erschüttert, und die Politiker bleiben allein auf sich selbst gestellt zurück. Kein klar formulierter Wählerauftrag und kein verläßlicher Rat von Fachleuten kann ihnen Orientierung bieten. Immerhin gibt es viele Sachzwänge, die sie zu bestimmten Entscheidungen anhalten. Wo diese ausbleiben und sie selbst gestalten müssen, sind sie allerdings nicht zu beneiden.

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