© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Zeitschriftenkritik: Gehirn & Geist
Stabile Eigenarten
Werner Olles

Welche Kriterien sind bei der Persönlichkeitsbildung eines Menschen entscheidend? Sind es unsere Erfahrungen und Erlebnisse, die uns prägen, Umwelteinflüsse, die biologische Reifung oder Anforderungen, die von außen an uns herangetragen werden? Neuen Aufschluß über diese Fragen geben Zwillingsstudien, bei denen ein- und zweieiige Zwillinge nach Übereinstimmungen in ihrer Persönlichkeit verglichen wurden. Resultat: Die Persönlichkeit wird vor allem vom Wechselspiel vieler Erbfaktoren geprägt. Zwar sind sie nicht allein ausschlaggebend, aber offensichtlich haben die Gene doch einen ganz beträchtlichen Einfluß auf die Persönlichkeit. So hat eine Längsschnittstudie, bei der zwischen 1993 und 2008 über 1.000 gemeinsam aufgewachsene erwachsene Zwillingen wiederholt befragt wurden, ergeben, daß etwa die Hälfte der Persönlichkeitsunterschiede auf genetische Unterschiede zurückzuführen und ein ähnlich großer genetischer Anteil auch für die Unterschiede in der Entwicklung verantwortlich ist.

Gehirn & Geist, das zehnmal jährlich erscheinende „Magazin für Psychologie und Hirnforschung“ beschäftigt sich in seinem Titelthema „Was die Persönlichkeit prägt – Partner, Beruf, Familie“ mit den Persönlichkeitsentwicklungen und individuellen Eigenarten eines Menschen, die nach neuen Studien einem lebenslangen Wandel unterliegen. Damit widerspricht die aktuelle Forschung zwar der bislang vorherrschenden Ansicht der meisten Psychologen, daß Veränderungen im Temperament und im Charakter im Laufe des Lebens aus uns selbst heraus erwachsen, weil bestimmte Gene in jungen Jahren, andere hingegen in späteren Lebensphasen aktiver sind, doch so ganz traut man diesen Ergebnissen – siehe Zwillingsforschung – offenbar doch nicht. Denn tatsächlich verändert sich die Persönlichkeit unter anderem durch den biologischen Reifungsprozeß über die gesamte Lebensspanne, aber die jeweilige Ausprägung relativ stabiler Eigenarten im Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen bleibt unter dem Einfluß der Gene in ihren wichtigsten Grundzügen erhalten.

Der Psychologe und Orientalist Jan Kizilhan geht in seinem Beitrag „Schmerzhafte Konflikte“ mit den sich häufig in körperlichen Beschwerden äußernden psychischen Leiden von Zuwanderern aus familienorientierten Gesellschaften ein. In ihnen spiegelten sich Normen und Gebräuche der Herkunftskultur, aber auch die innere Zerreißprobe, in die viele beim Verlust ihres vertrauten Umfeldes und im Konflikt mit den traditionellen Werten ihrer Heimatkultur gerieten, schreibt der Autor. Vor allem junge türkischstämmige Frauen, die ihre Heimat nicht freiwillig verlassen, sondern beispielsweise durch Zwangsheiraten nach Deutschland kommen, litten hier häufig an psychisch bedingten körperlichen Krankheiten. Einmal mehr zeigt sich so, daß die Umsiedlung aus gänzlich fremden Kulturkreisen nicht nur für die autochthone Bevölkerung eine Zumutung darstellt, sondern auch für viele Zuwanderer selbst.

Kontakt: Spektrum der Wissenschaft Verlag, Postfach 10 48 40, 6p038 Heidelberg. Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Jahresabo 68 Euro.

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