© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Unzeitgemäße Ideen
Publizistik: Das aktuelle Heft der Zeitschrift „Sezession“ widmet sich dem Schwerpunktthema „Macht“
Baal Müller

Wer über Macht verfügt, hat an der Diskussion von Machtfragen wenig Interesse. Es sind Machtlose, die unfreiwillig „tatenarm, aber gedankenvoll“ (Hölderlin) über Macht nachdenken, denen wir Einsichten in die Funktionsweisen politischer Prozesse verdanken.

Das aktuelle Heft der vom Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegebenen Zeitschrift Sezession widmet sich den Formen der Machtausübung aus unterschiedlichen – eher theoretisch-allgemein oder an den konkreten Erscheinungsformen ausgerichteten – Perspektiven. Martin Lichtmesz behandelt die primitive, archaische Gestalt der Macht in seinem Essay über den Dichterphilosophen Elias Canetti und dessen Hauptwerk „Masse und Macht“: Der Brutalität der Masse als Hetzmeute korrespondiere die Grausamkeit des Despoten, die beide aus der existentiellen Not des Menschen angesichts des Todes resultierten.

Solcher nackten Gewalt steht die „Soft Power“ als „sanfte, flexible, subtile Macht“ gegenüber, die Karlheinz Weißmann am Beispiel der USA und besonders der Politikberater Walter Lippmann und Edward Bernays untersucht. Letzterer gilt als „Vater der PR“ und hat in Werken wie „Propaganda“ (1928) die Prinzipien öffentlicher Meinungsbildung im Dienste mächtiger Interessengruppen dargelegt.

Wie dies in der Praxis aussehen kann, zeigt der Beitrag des Sozialwissenschaftlers Manfred Kleine-Hartlage sowie ein weiterer Aufsatz von Martin Lichtmesz: In seiner provokanten „Handlungsanleitung für Putschisten“ sucht Kleine-Hartlage nicht etwa eine Gruppe radikaler Oppositioneller zu einem künftigen Putsch zu bewegen, sondern er beschreibt den langfristig geplanten und mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) möglicherweise zu einem Abschluß gelangenden „Putsch von oben“, den eine eurokratische „Elite“ unter formaler Beibehaltung, aber inhaltlicher Pervertierung der verfassungsmäßigen Ordnung gegen Demokratie und nationale Souveränität betreibe.

Den ideologischen Voraussetzungen solcher „Putschisten“ wie dem österreichischen Bundeskanzler Faymann geht Lichtmesz unter dem Titel „Verfassungsputsch – Umsetzung und Finte“ nach: Nur ein „Katzensprung“ führe von der „immerwährenden Schuld“ auch der Österreicher an Krieg und Holocaust zum „immerwährenden Schuldentransfer“, der sich aus dem ESM-Vertrag ergebe.

Lichtmesz’ Ausführungen zum politisch-korrekten „Gedenkdienst“ beziehungsweise zur Kriminalisierung unerwünschten Gedenkens der Weltkriegsgefallenen können als Konkretisierung der vier „Thesen zur Skandalokratie“ gelesen werden, in denen Felix Menzel die von Realitätsverweigerung, Debattenverhinderung, Außerkraftsetzung des Rechtsstaates und Inszenierung virtueller Ausnahmezustände geprägte Herrschaft der Massenmedien zusammenfaßt.

Statt in solche Niederungen richtet IfS-Geschäftsführer Erik Lehnert seinen Blick auf überzeitlich Gültiges, wenn er „Die Macht des Geistes“ unter Rekurs auf den Philosophen und George-Anhänger Kurt Hildebrandt hervorhebt: Das scheinbar häufige Scheitern des Geistigen bei Machtkämpfen folge nicht aus dessen grundsätzlicher Machtlosigkeit, sondern lediglich aus dem unzeitgemäßen Charakter bestimmter Ideen beziehungsweise dem Unvermögen ihrer Träger, sie durchzusetzen.

Wie gewisse Ideen – und mit ihnen vordergründig entmachtete, aber im Hintergrund weiterhin agierende Kreise – zur Herrschaft gelangen können, belegt JF-Autor Thorsten Hinz in seinem Aufsatz „Machterhalt – Einsichts-elite nach dem letzten Krieg“ auf beeindruckende Weise: Die These von der Kollektivschuld des deutschen Volkes habe erst dadurch ihre verhängnisvolle Breitenwirkung entfalten können, daß sie dem Interesse einflußreicher, aber durch ihr Mitläufertum korrumpierter Persönlichkeiten wie dem Diplomaten Ernst von Weizsäcker, dem Vater des späteren Bundespräsidenten, und der Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff entgegengekommen sei. Indem diese sich zu einer moralisch einsichtigen „Elite“ stilisieren und die eigentliche Schuld an der NS-„Pöbelherrschaft“ auf die „Masse“ haben abwälzen können, hätten sie sich den Alliierten mit Erfolg als Juniorpartner beim Aufbau einer neuen Ordnung empfohlen.

Weitere Beiträge behandeln konkrete Macht- oder Ohnmachtsdiskurse wie die Diskussion um eine erforderliche, aber vielfach in Frage stehende „Kultur des Kämpfens“ in der Bundeswehr („Uniform oder Kostüm?“ von Arthur East) und die, gewohnt peinliche, Antisemitismus-Debatte über das Israel-Gedicht von Günter Grass „Was gesagt werden muß“ („Günter Grass – ein Machtdiskurs“ von Literaturwissenschaftler Günter Scholdt). Eine Sammlung und Erläuterung bekannter Begriffe und Sentenzen zu „Machtfragen“ sowie Buchrezensionen, insbesondere zu Carl Schmitt, runden das ausgezeichnete Heft ab.

 

Zwischentag

Eine wichtige Ankündigung enthält das Editorial von Götz Kubitschek: Am 6. Oktober wird das Institut für Staatspolitik zum Erscheinen der 50. Sezession die erste Freie Messe Berlin veranstalten. An diesem „Zwischentag“, der das diskursive Einerlei unterbrechen soll, werden die Machtlosen ihr Recht auf freie Rede in Anspruch nehmen und sich „zwischen die Backen der Zange klemmen“, die von den Mächtigen zugedrückt werde. Nähere Informationen gibt es im Internet unter www.zwischentag.de.

Die Zeitschrift Sezession wird alle zwei Monate vom Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegeben und kostet 10 Euro.

Kontakt: Sezession, Rittergut Schnellroda, 06268 Steigra  www.sezession.de

Foto: Angerer der Ältere, Kampfewigkeiten (Farbradierung 1986): Machtkampf von Anbeginn der Zeiten

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