© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

„Schlimmste Stammtischökonomie“
Euro-Bankenunion: 172 Wirtschaftsprofessoren warnen vor den Folgen einer kollektiven Haftung – Politiker, Journalisten und einige Kollegen sind empört
Michael Martin

Liebe Mitbürger, die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen sah, waren falsch.“ So beginnt der vorige Woche publizierte offene Brief (siehe Info-Kasten), mit dem 172 Professoren um den Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, und den Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer vor den Folgen einer Bankenunion warnen. „Die Politiker mögen hoffen, die Haftungssummen begrenzen und den Mißbrauch durch eine gemeinsame Bankenaufsicht verhindern zu können. Das wird ihnen aber kaum gelingen, solange die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen“, heißt es darin. Die Reaktion der Angesprochenen und ihrer Berater ließ nicht lange auf sich warten. Finanzminister Wolfgang Schäuble etwa warf den Initiatoren vor, „Horrormeldungen“ zu fabrizieren. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte süffisant: „Von allen denkbaren Verfahren in der Bewältigung dieser Krise in den vergangenen Monaten ist das am wenigsten taugliche die Umsetzung von Expertenempfehlungen gewesen.“ Auch die Opposition sprang der Regierung bei: „Ich hoffe, daß sich die Deutschen nicht von diesen Stammtischökonomen kirre machen lassen, die jetzt Politik machen wollen“, meinte etwa Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Grünen.

Peter Bofinger, auf SPD-Ticket Mitglied im Wirtschaftssachverständigenrat,  blies ins selbe Horn und sprach in der Financial Times Deutschland (FTD) von „schlimmster Stammtischökonomie“. Im Spiegel legte der Würzburger Ökonom nach: „Der Aufruf schadet dem öffentlichen Ansehen der deutschen Wirtschaftswissenschaft.“ Michael Hüther, Chef des von der Großindustrie getragenen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), bezeichnete den Protestaufruf als „unverantwortlich“. Diese Aktion habe „mit ökonomischer Argumentation nichts zu tun“, der Protestbrief ziele „nur auf Emotionen“. Zusammen mit so illustren Kollegen wie dem Ex-Wirtschaftsweisen Bert Rurüp (inzwischen Vorstand bei der Maschmeyer-Rürup AG) und dem DGB-nahen Ökonomen Gustav Horn verfaßten die beiden prompt einen Gegenappell: Es könne „nicht die Aufgabe von Ökonomen sein, mit Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch einen Aufruf weiter zu verunsichern“, mahnten die Autoren.

Auch die Argumente der vor allem von Zeit – deren Finanzmarktexperte empfahl „Ablage P wie Papierkorb“ für den Sinn-Brief – und FTD („Dilettantismus“) aufgebotenen ausländischen Kritiker klingen wenig souverän: „Ich bin entsetzt. Dieser Aufruf ist eine Schande“, wird der belgische Währungsexperte Paul De Grauwe zitiert. „Die Gruppe dieser Ökonomen spricht nicht als Ökonomen – sie sprechen als Deutsche.“ Der in Genf lehrende Franzose Charles Wyplosz fährt ganz schweres Geschütz auf: Der Text des Aufrufs sei „offen fremdenfeindlich“. Jan-Egbert Sturm von der ETH Zürich meinte angesichts der Emotionsausbrüche in der FTD: „Man kann die Polarisierung mit jener in der Politik zwischen Nord- und Südeuropa vergleichen.“

 

Der offene Brief der Ökonomen zu den Euro-Gipfelbeschlüssen

Wir (…) sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge. Die Bankschulden sind fast dreimal so groß wie die Staatsschulden und liegen in den fünf Krisenländern im Bereich von mehreren Billionen Euro. Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind. Banken müssen scheitern dürfen. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen sollte und auch kann: die Gläubiger selber (…). Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden grundsätzlich zustimmen, werden sie immer wieder Pressionen ausgesetzt sein, die Haftungssummen zu vergrößern oder die Voraussetzungen für den Haftungsfall aufzuweichen. (…) Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet; geholfen wird statt dessen der Wall Street, der City of London – auch einigen Investoren in Deutschland – und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken (…). Die Sozialisierung der Schulden löst nicht dauerhaft die aktuellen Probleme; sie führt dazu, daß unter dem Deckmantel der Solidarität einzelne Gläubigergruppen bezuschußt und volkswirtschaftlich zentrale Investitionsentscheidungen verzerrt werden.

Die vollständige Erklärung der 172 Wirtschaftsprofessoren findet sich hier:  www.cesifo-group.de

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