© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Martin Schulz irrt
Euro-Rettungspolitik: Der EU-Parlamentspräsident warnt vor einer Rückkehr zur D-Mark / Simplifizierung komplexer Sachverhalte
Bernd Noske

Im „Interview der Woche“ des Deutschlandfunks lief EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wieder einmal zu Höchstform auf: Die Euro-Zone müsse in ihrer jetzigen Form unbedingt gerettet werden, „weil ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone eine dramatische wirtschaftliche Entwicklung nach sich ziehen würde“, behauptete der vormalige Fraktionschef der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D) im Europaparlament.

„Wir Deutschen gehen ungeheure Risiken ein“, gesteht Schulz angesichts der milliardenschweren Euro-Rettungsmaßnahmen ein, aber wenn wir wieder nationale Währungen einführen würden, dann wäre der Aufwertungsdruck auf die Deutsche Mark so groß, „daß unsere Produkte im Ausland so verteuert werden, daß die deutsche Exportwirtschaft einbricht“, meinte der SPD-Europabeauftragte. „Ich fände es gut, wenn die Regierung so dem Volk die Risiken erklären würde: Nichtstun ist viel gefährlicher als Solidarität üben und Risiken eingehen“, so Schulz.

Doch die Aufforderung an Kanzlerin Angela Merkel, das deutsche Volk darüber aufzuklären, daß bei einer Rückkehr zur D-Mark die deutschen Exporte zusammenbrechen und damit ein wesentlich größerer Schaden entstehen würde als bei einem Verbleib im Euro, ist an Schlichtheit des Denkens und Demagogie nicht mehr zu überbieten. Das läuft auf die Aussage hinaus, daß eine schlechte Währung gut für ein Land sie. Die Rückkehr zur D-Mark wäre hingegen nichts weiter als die Rückkehr zu einem früheren Zustand, einer 50jährigen Periode von Wohlstandssteigerung und Wirtschaftswachstum – einschließlich wachsender Exportüberschüsse und steigender Wechselkurse. Die Stärke der Mark resultierte neben dem Vertrauen in die Bundesbank vor allem auch aus dem ständigen Wachstum der deutschen Exporte. Die D-Mark war stark, weil der Export blühte, und die starke Mark setzte die Exportindustrie unter einen Dauerdruck, ihre Produkte auf den Weltmärkten durch ständige Verbesserungen und Neuerungen trotz hoher Wechselkurse wettbewerbsfähig zu halten.

Dies wurde dadurch erleichtert, daß es sich bei den deutschen Ausfuhrgütern weniger um preisempfindliche kurzlebige Konsumgüter als vielmehr um technische Spitzenprodukte aller Art handelt, die in die Produktionsprozesse der ausländischen Abnehmer eingehen und bei denen es in erster Linie darauf ankommt, daß diese Produkte in hohem Grade zuverlässig sind und bei ihren Produktionsprozessen zu geringstmöglichen Stillstandszeiten und Ausschußquoten führen.

Der Preis tritt hier als Wettbewerbsparameter hinter die Produktqualität zurück, man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer geringen Preiselastizität der Nachfrage nach deutschen Exportgütern. Was Schulz aber völlig verschweigt, ist die Tatsache, daß das, was für die Exportseite gilt, mit umgekehrtem Vorzeichen auch für die Importseite zutrifft. Deutschland ist im hohen Maße auf Importe von Rohstoffen, Energie, halbfertigen Erzeugnissen und Konsumgütern angewiesen. Diese würden entsprechend billiger werden, was einen positiven Einfluß auf den Preisindex für die Lebenshaltung hätte – und zwar unmittelbar über die importierten und mittelbar über die im Inland hergestellten Konsumgüter. Die gestiegenen Kraftstoff- und Gaspreise könnten sinken, Auslandsurlaube würden billiger.

Ein niedriger Preisindex für die Lebenshaltung könnte die Gewerkschaften zu mehr Lohnzurückhaltung veranlassen, wenn sie nicht befürchten müssen, daß der Lebensstandard ihrer Mitglieder durch Inflation gefährdet wird. Das niedrigere Preisniveau könnte ferner die Bundesbank, die der Preisstabilität verpflichtet ist, veranlassen, die Zinsen niedrig zu halten, was zusätzlich positive Impulse für Investitionen auslösen würde. Sinkende Importpreise, Lohnzurückhaltung und niedrige Zinsen würden insgesamt einen dämpfenden Einfluß auf die Produktionskosten und damit auf die Güterpreise im Inland, auch zugunsten der Konsumenten haben.

Insbesondere diese positiven Auswirkungen einer Rückkehr zur D-Mark auf den Lebensstandard der Bevölkerung sollten doch einem Parlamentspräsidenten und speziell einem sozialdemokratischen Volksvertreter nicht gleichgültig sein. Für die Exportindustrie ergäbe sich mit diesen Kostensenkungen ein Kalkulationsspielraum, der bei Bedarf für die Steigerung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit auf Auslandsmärkten herangezogen werden könnte. Wenn die deutschen Familienunternehmen oder der Außenhandelsverband BGA als aktive Teilnehmer an den Exportmärkten eventuelle Risiken aus einer D-Mark-Rückkehr im Vergleich zur Weiterverfolgung von EFSF, ESM, Fiskalpakt und Bankenunion offenbar als beherrschbar ansehen, wie kommt der frühere Buchhändler Martin Schulz als blasser Theoretiker dann dazu, das krasse Gegenteil zu behaupten? Auch seine Aussage, „kein Land hat mehr am Euro verdient als die Bundesrepublik“, ist durch keinerlei Fakten belegt.

Seine schreckliche Simplifizierung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte unter Verengung des Blickwinkels auf einen Teilaspekt würde Deutschland in eine verhängnisvolle Entwicklung führen und muß daher mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden.

Foto: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz fordert: „Solidarität üben und Risiken eingehen“

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