© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Der Geldwert wird verwässert
Euro-Krise: Die EZB senkt den Leitzins auf Rekordwert von 0,75 Prozent / Entschuldung unumgänglich
Philipp Bagus

Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) unter dem Franzosen Jean-Claude Trichet ihren Leitzins vor einem Jahr auf 1,5 Prozent erhöhte, senkte sie ihn unter dem Italiener Mario Draghi Ende 2011 wieder auf 1,0 Prozent zurück. Vorige Woche hat die EZB den entscheidenden Zinssatz zur Steuerung des Geld- und Kapitalmarkts sogar auf den Rekordwert von 0,75 Prozent gedrückt – den niedrigsten Wert seit Einfühung des Euro. Der unbedarfte Beobachter wundert sich, denn gleichzeitig liegt die Inflationsrate im Euro-Raum bei offiziell 2,4 Prozent und damit über dem selbstgesteckten Zielwert von knapp zwei Prozent. Unter diesen Umständen die schon aberwitzig niedrigen Zinssätze noch weiter zu senken erscheint völlig unverständlich. Zum Vergleich: Die Deutsche Bundesbank senkte ihren Diskontsatz zu D-Mark-Zeiten niemals unter 2,5 Prozent.

Wieder wird nun offensichtlich: Die Zentralbankpolitik ist fest in der Hand der Mittelmeerstaaten. Zwei deutsche Notenbanker, Axel Weber und Jürgen Stark, nahmen deshalb schon aus Protest ihren Hut. Die Zinssenkung hat natürlich politische Motive. Der Euro soll – koste es was es wolle – zusammengehalten werden. Die EZB-Zinsentscheidung wird vor allem insolventen Banken und Staaten zugute kommen. Die Banken können sich nun noch günstiger Geld bei der EZB beschaffen und lukrativ in Staatsanleihen parken. Zehnjährige spanische Staatsanleihen werfen derzeit eine Rendite von etwa sieben Prozent ab. Ein ordentlicher Gewinn entsteht da, wenn sich die spanischen Banken zu 0,75 Prozent bei der EZB refinanzieren.

Die Versorgung überdehnter Wohlfahrtsstaaten mittels Notenpresse geht weiter. Der Reformdruck nimmt ab. Gleichzeitig erhöht sich die Gewinnspanne der Finanzinstitute. Die Hoffnung der EZB-Planer ist, daß sich die maroden Banken langsam wieder rekapitalisieren. Was ist aber der Effekt der Verbilligung des Geldes? Droht bald eine Inflation?

Davon ist vorerst nicht auszugehen. Die Kreditnachfrage geht vor allem in der Peripherie immer weiter zurück. Die überschuldeten Haushalte und Unternehmen zahlen ihre Schulden zurück, was tendenziell einen Rückgang der Geldmenge bewirkt. Ohne die geldpolitischen Experimente der EZB wären die Preise daher in den letzten Jahren gefallen. Nur das Aufblasen der Basisgeldmenge und die Finanzierung von Staatsdefiziten hat diesen möglichen Kaufkraftgewinn zerstören können.

Dennoch legt die Zentralbank mit ihrer Politik eine Zeitbombe. Sie schwächt enorm die Qualität der Euro-Währung, indem sie Anleihen von insolventen Regierungen kauft oder als Kreditsicherheit akzeptiert. Auch das Aufpäppeln von maroden Banken mittels einer Niedrigzinspolitik kann zu erheblichen Zentralbankverlusten führen und gefährdet das Vertrauen in die Währung. Denn die EZB manövriert sich in eine Situation, in der sie den Geldwert immer weiter verwässern muß, um die von ihr abhängigen Banken und Staaten über Wasser zu halten. Der Anteil guter Vermögenswerte in der EZB-Bilanz, mit dem sie den Geldwert verteidigen und Vertrauen schaffen kann, wird immer geringer. Springt schließlich die Bankenkreditvergabe an und kommt es zu Vermögenspreisblasen, wird die EZB die Liquidität wahrscheinlich nicht wieder abschöpfen können, ohne Banken und Staaten in einen Abwärtsstrudel zu ziehen. Dann explodiert die Bombe. Aber davon sind wir noch entfernt. Von dem billigen Geld wird auch diesmal nicht viel der Privatwirtschaft zugute kommen. Vor allem in der Euro-Peripherie gibt es keine solvente Investitionsnachfrage. Die Unsicherheit ist aufgrund möglicher Steuererhöhungen und Umwälzungen der Sozialsysteme sehr hoch.

Solange sich die überschuldeten Haushalte und Unternehmen nicht wieder Luft verschafft und ihre Finanzen in Ordnung gebracht haben, werden sie von zusätzlichen Krediten eher Abstand nehmen. Für eine Erholung ist eine Entschuldung der Wirtschaft unbedingt notwendig. Dem wird jedoch staatlicherseits entgegengewirkt. Während in der Peripherie die Privathaushalte ihre Verschuldung in den vergangenen Jahren zurückfuhren, steigerten die Staaten ihre Verschuldung immens. Eine gesamtwirtschaftliche Entschuldung, die zur Belebung der wirtschaftlichen Aktivität notwendig ist, wurde somit verhindert.

Die künstlich niedrigen Zinsen erlauben es, daß die Strukturprobleme auf die lange Bank geschoben werden. Zombiebanken und Unternehmen überleben dank der Niedrigzinsen. Eine schnelle Liquidierung und Freisetzung von Ressourcen, die an anderer Stelle zur Restrukturierung gebraucht werden, wird somit verzögert, wenn nicht sogar verhindert. Künstlich niedrige Zinsen führten beispielsweise zu einem Bauboom in Spanien. Der Immobiliensektor muß nun schrumpfen. Dieser Anpassungsprozeß wird aber abgebremst, indem viele Bauunternehmen durch billiges Geld gerettet werden. Eine schnelle Abwicklung von nicht nachhaltigen Unternehmen, Banken und Staaten wird durch die verantwortungslose Politik des billigen Geldes verhindert.

Damit wird die Wiederanpassung der Wirtschaft an die Konsumentenbedürfnisse gestört und die Erholung beschädigt. Auch der notwendigen Entschuldung und Verbesserung der Liquidität der Haushalte wird entgegengewirkt. Solange die Geldpolitik nicht einen gemäßigteren Weg einschlägt, ist mit einer langen Zeit des Dahinsiechens zu rechnen. Aber dies sind eben die Kosten der Euro-, Staaten- und Bankenrettung.

 

Prof. Dr. Philipp Bagus lehrt Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. www.philippbagus.com

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen