© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

„Respektlose“ Erinnerungskultur
Belgien: In Antwerpen bergen Gunter Demnigs Stolpersteine politischen Zündstoff / Jüdische Organisation legen Veto ein
Mina Buts

Eigentlich hätten in Antwerpen Ende Juni die ersten sechs Stolpersteine zum Gedenken an im Dritten Reich deportierte jüdische Mitbürger verlegt werden sollen. Doch daraus wurde nichts, die Scheldestadt ist nunmehr die einzige überhaupt, die es gewagt hat, diese Art der Erinnerungspflege abzulehnen.

Sehr kurzfristig hatte der sozialdemokratische Bürgermeister Patrick Janssens nämlich die geplante Aktion abgesagt, nachdem das in Antwerpen ansässige Forum Jüdischer Organisationen (FJO) erklärt hatte, eine solche Pflastersteinverlegung sei „respektlos, weil über die Steine gelaufen würde und sie beschmutzt werden könnten“, obendrein gäbe es weder einen erzieherischen Effekt noch könne sich jeder eine Patenschaft über einen solchen Stein leisten. Außerdem, so die Sprecherin der FJO, Diane Keyzer, wohnten dort nun neue Antwerpener, „die keine einzige Tuchfühlung mit der Shoah“ hätten.

Mit seiner Aktion Stolperstein, die er zur Jahrtausendwende ins Leben gerufen hat, pflastert der deutsche Künstler Gunter Demnig in ganz Deutschland und mittlerweile auch in Europa. Eine pfiffige und lukrative Geschäftsidee, denn stolze 120 Euro kostet die Patenschaft über einen „Stolperstein“, mehr als 32.000 sind bereits verlegt, und schon jetzt sind Termine für dieses Jahr kaum noch zu ergattern.

In Antwerpen wollte sich der amtierende sozialdemokratische Bürgermeister Patrick Janssens nun bei der FJO rückversichern, ob es Bedenken gäbe. Und da gerade Wahlkampf herrscht – im September finden Gemeinderatswahlen statt –, ist Janssens Engagement natürlich auch als taktisches Manöver zu betrachten, um die nicht nur zahlenmäßig gewichtige Gruppe der Antwerpener Juden auf seine Seite zu bringen.

 Das Forum Jüdischer Organisationen allerdings zählt eher zu den Unterstützern der nationalkonservativen N-VA, was Janssens durchaus geläufig ist. Und deren charismatischer Parteivorsitzender Bart de Wever, der im übrigen in der vergangenen Woche der jüdischen Zentrale in Antwerpen einen Besuch abgestattet hat, wird im September Janssens Hauptherausforderer sein.

Der „Stolperstein“-Streit spaltet mittlerweile sogar die jüdischen Organisationen in Belgien. Während die Brüsseler Israelitische Gemeinschaft den Standpunkt der FJO stützt und eine Fraktionierung in flämische und wallonische Juden befürchtet, erklärt das ebenfalls in Brüssel ansässige „Koordinationskomitee der Jüdischen Organisationen in Belgien“, es müsse aller jüdischen Opfer gedacht werden und Janssens Vorgehen sei „idiotisch“ gewesen.

Demnig hingegen ficht der Streit nicht an, auf seiner Netzseite findet sich nur der lapidare Hinweis, in Antwerpen werde „vorerst nicht verlegt“.

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