© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Spitzel, Schredder, Schlamperei
Verfassungsschutz: Im Untersuchungsausschuß des Bundestages zur mutmaßlichen Zwickauer Terrorzelle treten die desolaten Zustände in der Behörde deutlich zutage
Marcus Schmidt

Stand Beate Zschäpe also doch auf der Lohnliste des Verfassungsschutzes? Hat der Geheimdienst zumindest versucht, die inhaftierte mutmaßliche Angehörige der Zwickauer Terrorzelle Ende der neunziger Jahre als V-Frau anzuwerben? Diese politisch brisanten Fragen drohten in der vergangenen Woche das parteiübergreifende Einvernehmen im Untersuchungsausschuß zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zu sprengen.

Der Obmann der FDP im Ausschuß, Hartfrid Wolff, hatte sich weit vorgewagt und in einer Sitzungsunterbrechung während der Befragung von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm vor der Presse die Ansicht geäußert, aus den Akten ließe sich möglicherweise eine Anwerbung Zschäpes herauslesen. „Hier ist eine Klarstellung des Innenministeriums nötig“, forderte Wolff und löste bei anderen Ausschußmitgliedern Entsetzen aus. „Er hat sie wohl nicht mehr alle“, zischte der Ausschußvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) dem neben ihm stehenden CDU-Obmann Clemens Binninger zu.

Beide verfolgten fassungslos die Ausführungen des FDP-Mannes. Es könne doch nicht sein, daß Wolff hier aus Geheimakten Pressekonferenzen bestreite, setzte Edathy nach, während die Obfrau der SPD, Eva Högl, eilig in einer Stellungnahme von einer „Luftnummer der FDP“ sprach. Der Grüne Wolfgang Wieland sagte indes: „Ich muß alles für möglich halten.“ Der Streit um eine mögliche Anwerbung Zschäpes hatte seinen Ursprung in einem Vorgang, der allgemein als einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik gewertet wurde: Am Tag vor der Ausschußsitzung am Donnerstag vergangener Woche hatten die Obleute des Untersuchungsausschusses in der Berliner Niederlassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz Einsicht in die ungeschwärzten Akten der Operation Rennsteig (siehe Kasten unten) erhalten. Diese ominöse Geheimdienstoperation war erst durch die „Aktion Konfetti“ bekannt geworden (JF 28/12), bei der ein Referatsleiter im Kölner Bundesamt noch nach dem Auffliegen des Zwickauer Terrortrios Akten zum „Thüringer Heimatschutz“ vernichtet hatte – ausgerechnet jener Kameradschaft, der auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe angehört hatten. Die Abgeordneten hatten jeweils gut zwei Stunden Zeit, sich einen ersten Eindruck von den 45 Aktenordnern zur Operation „Rennsteig“ zu verschaffen, die sie teilweise bereits in der geschwärzten Version kannten, in der Namen und Fakten, die der Geheimhaltung unterliegen, unkenntlich gemacht wurden.

Wolff war bei der Durchsicht der Verfassungsschutzakten, darunter 18 Ordner zu Personen, auf einen Vorgang gestoßen, bei dem es um den Anwerbeversuch einer Frau ging, die „Katzenliebhaberin“ sei und eine enge Beziehung zu ihrer Oma habe. Eine Beschreibung, die auf Beate Zschäpe zutrifft. Fromm, den Wolff im Ausschuß mit dem Aktenfund konfrontierte, reagierte überrascht, wollte zwar nichts ausschließen, äußerte aber auch Zweifel.

Vor allem den Ausschußmitgliedern von CDU und SPD war anzumerken, daß ihnen der Vorstoß von Wolff nicht ins Konzept paßte. Sie hielten offenbar die  Möglichkeit, der Verfassungsschutz habe versucht, Zschäpe anzuwerben, nicht völlig für abwegig, allerdings paßte ihnen der von Wolff gewählte Zeitpunkt, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, überhaupt nicht. Offenbar wollten sie die brisanten Erkenntnisse anhand weiterer Quellen noch einmal überprüfen. „Warum zieht ihr die Sache so hoch“, mußte sich Wolff fragen lassen. „Laß uns doch erst einmal die Akten aus Thüringen abwarten.“ Schon in der Vergangenheit hatte es Berichte gegeben, die Zschäpe Kontakte zum Geheimdienst nachsagten (JF 50/11). Nach einer Krisensitzung des Ausschusses hinter verschlossenen Türen, bei der nach Berichten von Teilnehmern Wolff eindringlich für sein Vorpreschen gerüffelt wurde, sah sich Edathy im Namen aller Ausschußmitglieder zu einer Klarstellung veranlaßt: Ein Anwerbeversuch Zschäpes lasse sich in den bislang vorliegenden Akten nicht nachvollziehen. Der FDP-Obmann blieb indes bei seiner Sicht der Dinge. „Es gab eindeutige Hinweise, die Akten haben Fragen aufgeworfen“, sagte ein sichtlich angeschlagener Wolff.

Die Vernehmung des angesichts der Aktenvernichtung in seinem Haus resigniert wirkenden Fromm offenbarte ein desolates Bild des Verfassungsschutzes und zeigte erneut, wie unzureichend die Kommunikation und der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden ist. Der scheidende Verfassungsschutzpräsident hat das Vertrauen in seine Mitarbeiter offenbar weitgehend verloren und fühlt sich „hinters Licht geführt“. „Ich habe das Gewerbe nicht gelernt“, distanzierte sich Fromm ungewöhnlich deutlich von den Geheimdienstlern, „ich leite eine Behörde.“ Eine abschließende Erklärung dafür, warum sein Referatsleiter, den der Ausschuß zuvor von der Öffentlichkeit abgeschirmt als Zeuge vernommen hatte, wichtige Akten vernichten ließ, konnte und wollte Fromm nicht liefern. Er hoffe, daß dies nicht geschehen sei, um etwas zu vertuschen.

Mit der Befragung Fromms verabschiedete sich der Ausschuß in die Sommerpause. Das Thema Verfassungsschutz wird das Gremium aber weiter beschäftigen. Vermutlich im September soll der Mitarbeiter des hessischen Landesamtes befragt werden, der bei dem der NSU zugeschriebenen Mord in einem Kasseler Internetcafé am Tatort gewesen sein soll (siehe rechts). Schon jetzt zeichnet sich ab, daß jenseits des Streits um Zschäpe der parteipolitische Burgfrieden im Ausschuß zu Ende geht. Längst hat der Kampf um die Deutungshoheit über die Ergebnisse des Ausschusses begonnen.

 

Operation Rennsteig

Unter dem Decknamen „Operation Rennsteig“ versuchten das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Thüringische Landesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst (MAD) in den Jahren 1997 bis 2003 unter den Mitgliedern der rechtsextremistischen Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ V-Leute anzuwerben. Ziel war es, mehr über die Organisation zu erfahren.

Von einer Gruppe von 73 zunächst ausgewählten Zielpersonen, zu denen auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gehört haben sollen, wurden offenbar 35 vom Verfassungsschutz angesprochen. In den Beständen des BfV finden sich die Akten von acht schließlich angeworbenen V-Leuten. Sieben dieser Akten wurden im November 2011 auf Veranlassung eines Referatsleiters geschreddert. Das Terrortrio soll nicht darunter gewesen sein.

In welchem Umfang der Verfassungsschutz in Thüringen und der MAD darüber hinaus V-Leute angeworben haben, hat der Ausschuß bislang noch nicht abschließend geklärt.

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