© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Ein Klettergerät als Feigenblatt
„Gorch Fock“: Warum der kostspielige Übungsmast in der Marineschule Mürwik brandgefährlich ist
Hans von Stackelberg

Wenn der Kommandeur der Marineschule Mürwik, Flottillenadmiral Thomas Josef Ernst, den dort neu aufgestellten und jetzt eingeweihten Übungsmast
(JF 27/12) als „wesentlichen Baustein“ für die Ausbildung bezeichnet, so kann man dem – wie bei jedem zusätzlichen Sportgerät – durchaus zustimmen. Wenn allerdings der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), zu diesem, seinem eigenen Vorschlag meint, „durch den Mast könne man den Schutzanspruch gegenüber den Offizieranwärtern in besonderer Weise erfüllen“, dann ruft soviel mangelnde Sachkenntnis bei gestandenen Gorch-Fock-Fachleuten ungläubiges Kopfschütteln hervor.

Im Hinblick auf die spätere Praxis an Bord ist ein an Land aufgebautes statisches „Klettergerüst“ genauer betrachtet völlig unrealistisch und daher, vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion um die Zustände an Bord der Gorch Fock nach dem Tod einer Kadettin im Jahr 2010, allenfalls ein „Feigenblatt für die Öffentlichkeit“. Ansonsten aber ist der Mast eher unzweckmäßig, und die Ausgaben in Höhe von 1,4 Millionen Euro völlig unnötig.

Der bei der italienischen Marine genutzte Übungsmast, der der Deutschen Marine jetzt als Vorbild diente, ist in Deutschland seit 1958 bekannt, als der erste Kommandant der damals noch im Bau befindlichen Gorch Fock mit einer Delegation der künftigen Stammbesatzung abkommandiert, den Dienstbetrieb auf der „Amerigo Vespucci“ kennenlernen sollte.

Das italienische Segelschulschiff wurde damals von der Stammbesatzung und nicht wie die „Gorch Fock“ von Lehrgangsteilnehmern gesegelt. Der den italienischen Kadetten lediglich als  Sportgerät an der Marineschule zur Verfügung gestellte Übungsmast wurde später von der deutschen Delegation als Vorbereitung für den Dienst an Bord kategorisch abgelehnt, da mit dem rein statischen Mast (damals mit darunter gespanntem Sicherungsnetz) keinesfalls realistische Verhältnisse wie an Bord (durch unterschiedliche Abstände und Abmessungen in der Takelage) und auf See (durch den Einfluß von Wind und Seegang) simuliert werden konnten. Nicht zuletzt aber vor allem weil unterschwellig eine brandgefährliche Sorglosigkeit aufkommen kann, mit dem späteren Unterbewußtsein an Bord: „Das kenne ich ja schon, da konnte mir ja nichts passieren!“

Diese Gefahr wird aber zweifellos auch gefördert durch die an den Sicherheitsgurten der Rahgasten, also jener Besatzungsmitglieder, die in die Masten müssen, befestigten Sicherungsleinen, die am Mast genutzt werden, die es auf der „Gorch Fock“ bei der Großzahl  gleichzeitig enternder Lehrgangsteilnehmer aber gar nicht geben kann. An ihrer Stelle muß daher eher eine ständige Sicherheitsbelehrung über das Verhalten in der Takelage vorrangig sein, denn die größte Gefahr besteht darin, Gefahren zu unterschätzen. Auch der eigens am Mast installierte Windwarner, der bei zu hohen Windstärken automatisch Alarm schlägt, erregt bei erfahrenen Seeleuten ungläubiges Kopfschütteln. Schließlich ist gerade der Wind der Antrieb jedes Windjammers und bei Windstärke 7 bis 9 läuft die „Gorch Fock“ nun mal am besten. Daher werden bei höheren Windstärken auch die Rahgasten zum Los- und Festmachen der Segel in der Takelage benötigt. Wenn man also schon von einem möglichst identischen verkleinerten Nachbau des Originals spricht, so sollten auch dort Windstärken eher genutzt als vermieden werden.

Der Zweck, mit Hilfe eines statischen Übungsmastes sich an die Arbeitsbedingungen auf der „Gorch Fock“ zu gewöhnen, wird im gewünschten Maße leider kaum erreicht werden, weil hier zu einem wesentlichen Teil die Vermittlung völlig anderer, um nicht zu sagen falscher Eindrücke stattfindet. Der Übungsmast mag daher als rahgetakeltes Klettergerät zur sportlichen Betätigung durchaus eine dekorative, wenn auch reichlich kostspielige Bereicherung der altehrwürdigen Marineschule darstellen. Man hätte aber sicher die dafür nötigen Steuergelder sparen können, indem man die „Gorch Fock“ für die gesamte Zeit der Grundausbildung an die Marineschule verlegt, wie bei anderen Nationen gang und gäbe. So könnten schon von Anfang an langsam aufgebaute Enterübungen (bei denen sich jeder so oft wie gewünscht mit seinem Sicherungsgurt im Want „einpicken“ kann) gemacht werden. Wobei dann drei Masten gleichzeitig mit ihren Originalabmessungen zur Verfügung stünden und so eine realistische Vorbereitung auf das spätere Leben an Bord erfolgen könnte.

Zusätzlich aber müßte, für erheblich mehr Sicherheit bei der folgenden Bordausbildung, eine Verlängerung der Segelvorausbildungszeit auf volle vier Kalenderwochen garantiert werden, so daß abzüglich der Wochenenden 20 Ausbildungstage mit Nachtausbildung und Übungen in See vor Beginn der Reise zur Verfügung stehen, auch wenn spätere Ausbildungskonzepte dann vielleicht zeitliche Umstellungen erfordern. Hier sollte die Sicherheit gegenüber zeitlichen Engpässen den absoluten Vorrang haben. Eine andere Frage ist, ob die 1,4 Millionen Euro an anderer Stelle nicht dringender benötigt worden wären.

 

Hans von Stackelberg,  Kapitän zur See a. D., war von 1972 bis 1978 Kommandant der „Gorch Fock“.

Foto: Marineangehörige beim „Aufentern“ am Übungsmast: Italien als Vorbild

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