© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Pankraz,
G. Krone-Schmalz und die Missionare

Der Westen ist nicht das Maß aller Dinge.“ So der Titel eines Essays von Gabriele Krone-Schmalz in der Online-Ausgabe des Berliner Hauptstadtmagazins Cicero, in dem sie die Aggressivität beklagt, mit der „der Westen“ sein eigenes demokratisches Regierungsmodell überall auf der übrigen Welt durchzusetzen versucht. „Unsere Maßstäbe zum Maßstab aller Dinge auf diesem Planeten zu machen“, schreibt sie, „das ist nicht nur unangemessen, sondern auch dumm. Wir könnten ebensogut versuchen, das Wettergeschehen in den Tropen mit den Regeln erklären zu wollen, die für Mitteleuropa gelten.“

Krone-Schmalz ist nicht irgendwer, sondern jene legendäre Korrespondentin der ARD in Moskau, die zwischen 1987 und 1992 den dramatischen Zerfall der Sowjetunion dokumentierend und kommentierend begleitete und deren ebenso realistische wie einfühlsame Arbeit damals größten Eindruck machte. Ihre Intervention kommt zur richtigen Zeit. Die rechthaberische Insistenz, mit der die Nato-Staaten sich überall im Namen der Demokratie einmischen und ungeniert zu Umsturz und Revolution auffordern, hat tatsächlich schon Züge entfesselter Dummheit angenommen.

Mit moderner demokratischer Politik qua Interessenwahrung und Kompromisseschließen hat das jedenfalls nichts mehr zu tun. Eher erinnert es an die Zeit der Kreuzzüge, als Christen und Moslems davon überzeugt waren, daß es um des eigenen Seelenheils willen notwendig sei, auch alle anderen Menschen, einzelne und ganze Völker, zum „rechten Glauben“ zu bekehren, und zwar mit Feuer und Schwert. Das biblische Gebot „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“ verwandelte sich in einen Schlaghammer, mit dem man ganze ehrwürdige Kulturen auslöschte.

Im Islam gilt diese Überzeugung grundsätzlich auch heute noch, doch wie steht es damit im christlichen Abendland? Dort ist man, scheint’s, inzwischen sehr viel vorsichtiger und humaner geworden. Der einstige missionarische Eifer ist offenbar ganz erlahmt. Christliche Misionare reißen heute keine Bäume mehr aus, sondern helfen sogar beim planvollen Rekultivieren einstmals blühender, durch Bevölkerungsexplosion, Raubbau und brutale Technik verwüsteter Gegenden.

Aber ist das nicht alles bloße Tünche, unter der der alte abendländische Missionsfuror unverändert auf der Lauer liegt? Nicht wenige außereuropäische, vor allem moslemische Gelehrte vermuten das. Nicht die Absichten, lediglich das Vokabular und die Rhetorik des Abendlands, also des Westens, hätten sich verändert, sagen sie. An die Stelle von Jesus sei die Demokratie getreten, doch an der alten, nur allzu bekannten Erlösungsideologie habe sich nichts geändert. Sie wollen die Welt „erlösen“, und wer sich nicht erlösen lassen will, dessen traditionelle Strukturen werden zerschlagen.

Kein verantworungsbewußter Politiker sollte bei diesem Unternehmen mitmachen, heißt es, und Pankraz stimmt dem weitgehend zu. Demokratie kann nicht einfach durch missionarische Umsturzgelüste eingeführt werden, sowenig wie Jesus Christus. Dauerhafte Demokratie muß Wurzeln schlagen und sich deshalb gründlich auf den lokalen Mutterboden einlassen. Wahre Demokratie und gewaltsame Revolution schließen sich, allem oberflächlichen Augenschein zum Trotz, gegenseitig aus.

Hinzu kommt, daß es fast unendlich viele Formen demokratischer Machtbeteiligung, Abstimmung und Rechtewahrnehmung gibt, je nach regionaler Tradition und Lebensauffassung. Die „moderne“, strikt gleichmacherische Form des „One man, one vote“ ist bei den maßgebenden politischen Nachdenkern, von Jean-Jacques Rousseau bis Ralf Dahrendorf, stets auf große Skepsis gestoßen. Sie setzt weitgehende ethnische und religiöse Einheit, ungewöhnlich hohes allgemeines Interesse für Politik und hohen Bildungsgrad voraus, um halbwegs glaubhaft zu funktionieren.

Gabriele Krone-Schmalz hat nur allzu recht, wenn sie ihren journalistischen Kollegen zuruft: „All das vor Augen, maßen wir uns an, überall auf der Welt Demokratie einzufordern? Unterstützen in arabischen Ländern die Opposition – wer soll das sein? –, die schnell gelernt hat, daß man nur oft genug das Wort Demokratie in den Mund nehmen muß, um vom Westen Unterstützung jeder Art zu bekommen, moralisch, finanziell et cetera? (…) Längst haben Wissenschaftler bewiesen, daß die organisatorischen Prinzipien des Westens nicht dazu angetan sind, weltweit Probleme zu lösen. Dafür genügt ein Blick nach Afghanistan.“

Leider können wissenschaftliche Beweise und konkrete Hinweise auf politische Realereignisse selten etwas ausrichten, wenn es um Glaubensfragen geht, und das gilt eben auch für den Glauben unserer „aufgeklärten“, voll säkularisierten Eliten an die Weltherrschaft der reinen Demokratie nach westlichem Vorbild. Es ist der alte Glaube des Abendlandes an eine „erlöste“, von Leid und Ungerechtigkeit dauerhaft befreite Menschheit, nur hat er sich aus dem Jenseits in eine diesseitige, angeblich (wieder einmal) nahe bevorstehende Zukunft verschoben – und ist dadurch zur bloßen Utopie geworden.

Wie jeder sieht, gibt es nach wie vor – wie einst im alten Rom – Kaiserkulte (Führerkulte), zu denen man sich bekennen muß, es gibt nach wie vor verbissenste Glaubenskriege, mörderische Exzesse gegen Leute, die erklärtermaßen nicht an bestimmte religiös aufgeladene Politprogramme glauben wollen, härteste Strafen für „Leugner und Verharmloser“. Unter solchen Umständen eine „Ökumene der Gläubigen“ anzustreben, wie sie ehedem Papst Johannes Paul II. ins Auge faßte, um damit dauerhaften Frieden für die Welt zu sichern, wäre wohl schon allzu verwegen.

Gänzlich undenkbar freilich ist eine „Ökumene der Patentdemokraten“ nach Nato-Vorbild. Das wäre die reinste Diktatur. „Einheit in der Vielfalt“ hieß seinerzeit der Wahlspruch von Johannes Paul II. bei dem Treffen in Assisi. Für eine ernst gemeinte „Ökumene der Demokraten“ dürfte aber nur gelten: „Vielfalt in der Einheit.“

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