© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Der Pegel des Mißtrauens steigt
Vatikan: Trotz oder gerade aufgrund nicht enden wollender Enthüllungsgeschichten zeigt Papst Benedikt XVI. Nervenstärke und überrascht seine Kritiker
Manfred Ferrari

Papst Benedikt XVI. durchlebt in diesen Wochen die wohl schwerste Krise seines Pontifikats. Fester als sonst umschließen seine Finger den Rosenkranz, während er mit seinem Privatsekretär Georg Gänswein betend die Vatikanischen Gärten durchschreitet. Von Sorgenfalten gezeichnet, nähert er sich der Nachbildung der Erscheinungsgrotte von Lourdes, die seinem polnischen Vorgänger so lieb gewesen ist und wo dieser oft Trost gefunden hatte. Längst vergessen sind die Kontroverse um die umstrittene Rede in Regensburg und die Informationspanne bei der Aufhebung der Exkommunikation von Richard Williamson, kontroverser Bischof der Priesterbruderschaft St. Pius X.

Das Unglaubliche war geschehen. Erstmals in der Geschichte wurden geheime Dokumente aus den päpstlichen Gemächern entwendet und gezielt an die Medien weitergeleitet. Der Täter wurde schnell gestellt – Paolo Gabriele, der päpstliche Kammerdiener. Gabriele sitzt nun in einer zwanzig Quadratmeter großen Zelle, die eigens für ihn im Hauptquartier der vatikanischen Gendarmerie eingerichtet wurde. Fast täglich erhält er Besuch von seiner Familie, die nur einen Steinwurf von seinem neuen Zuhause entfernt lebt.

Kaum jemand im Vatikan glaubt aber, daß „Paoletto“ der Kopf der Intrige ist. Und um eine solche handelt es sich. Schon Anfang 2012 wurden den Medien einzelne Dokumente zugespielt. So zum Beispiel ein Schreiben von Erzbischof Carlo Maria Viganò an Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und an den Papst. Darin macht er beide auf die herrschende Korruption in der obersten Verwaltung des Vatikans aufmerksam, eine Tatsache, die jedem Insider längst bekannt war.

Geheime Dokumente verschwanden schon früher im Vatikan. Als zum Beispiel der kanadische Bischof Edouard Gagnon von Papst Paul VI. nach Rom berufen wurde, um eine Analyse der kurz zuvor abgeschlossenen Kurienreform zu erstellen, erlebte er am Vortag der Präsentation der Resultate eine peinliche Überraschung. Sein Pult war aufgebrochen worden und die in akribischer Arbeit erstellte Studie war verschwunden. Sie blieb es bis auf den heutigen Tag, hatte doch der kurienerfahrene Papst Montini den Kanadier angewiesen, alle vorbereitenden Dokumente bei Auftragsende zu vernichten, um Gerüchten und Intrigen vorzubeugen.

Schon seit Jahren brodelt es im Vatikan. Der deutsche Papst habe nicht die Kraft und auch nicht mehr die Zeit, eine umfassende Kurienreform durchzuziehen, bemerkt ein dem Papst nahestehender ausländischer Kurienkardinal im vertraulichen Gespräch.

Für viele überraschend hatte Papst Benedikt XVI. bald nach seiner Amtseinsetzung einen seiner engsten Vertrauten als Staatssekretär berufen. Das Päpstliche Staatssekretariat ist die zentrale Schaltstelle der römischen Kirchenleitung. Sie wird seit langem durch Prälaten besetzt, die die Diplomatenschule des Vatikans an der Piazza Minerva absolviert haben. Es ist die eigentliche Kaderschmiede der katholischen Kirche, die nur von ausgesuchten Priestern besucht werden darf. Hier werden die künftigen Spitzenkräfte des Vatikans auf Herz und Nieren geprüft. Eigentlich ist die „Accademia Ecclesiastica“ der Ausbildungsort der weltweit tätigen Diplomaten des Vatikans. Wer aber im Internet die Liste früherer Absolventen durchforstet, der findet die Namen fast all jener Personen, die heute die Schlüsselpositionen des Vatikans besetzen.

Aber weder der deutsche Papst noch sein Staatssekretär Bertone sind dort zu finden. Dies mag wohl einer der Gründe sein, weshalb Bertone vom Start weg eine schwierige Position hatte. Im Kreis der welterfahrenen Diplomaten schien er sich unwohl zu fühlen.

Im Lauf der Jahre versuchte deshalb Bertone, eine eigene Hausmacht aufzubauen. Dafür setzte er als Mitglied des Salesianerordens wiederholt Angehörige seiner Ordensgemeinschaft ein. Damit schuf er sich neue Feinde. Später ließ er den vatikanischen „Vizeaußenminister“, Pietro Parolin, zum Erzbischof ernennen und „verbannte“ ihn als Nuntius nach Venezuela. Der als besonders gewieft geltende Spitzendiplomat des Staatssekretariats, Erzbischof Carlo Maria Viganò, der später als Vizechef der vatikanischen Verwaltung die interne Korruption und Mißwirtschaft zu bekämpfen begann, wurde als Nuntius ins ferne Washington entsandt.

Der Papst hält aber bis heute an seinem Vertrauten fest, denn er kann auf seine uneingeschränkte Loyalität zählen. Die Funktion des Staatssekretärs ist von besonderer Bedeutung. Weltweit laufen alle Informationsfäden über dieses Amt, das mit einem relativ kleinen Stab effizienter arbeitet als jede vergleichbare Institution eines Staates. Antoine Poli, einer der früheren Chefs des französischen Inlandsgeheimdienstes, bezeichnete das päpstliche Staatssekretariat schmunzelnd als „Geheimdienstzentrale“ des Vatikans. Viele Nachrichtendienste der westlichen Welt buhlten um deren Gunst und lieferten bedenkenlos sensible Informationen, in dem Bewußtsein, daß diese den Vatikan nie verlassen würden. Dies könnte sich nach den aktuellen Vorfällen ändern.

Auch Papst Benedikt XVI. hat sich innerhalb der Kurie Feinde geschaffen. Unbeachtet von der Öffentlichkeit hat er dazu beigetragen, daß viele Mißstände im Vatikan und in der Weltkirche aufgedeckt wurden.

In einer Organisation, die auf äußerste Diskretion bedacht ist, drängte er darauf, die kriminellen Machenschaften pädophiler Priester und Bischöfe öffentlich zu machen. Erste Schritte hatte er schon als Präfekt der Glaubenskongregation eingeleitet. Unter seinem Pontifikat war kein Vertuschen mehr möglich. War es noch im Umfeld von Papst Johannes Paul II. gelungen, die Untaten des Gründers der „Legionäre Christi“, Pater Marcial Maciel Degollado, zu verniedlichen, so packte Papst Benedikt dieses heiße Eisen in den ersten Monaten seines Pontifikats an, entgegen dem Rat einiger seiner Mitarbeiter, die einen Imageverlust der katholischen Kirche befürchteten. Degollado hatte mit verschiedenen Frauen Kinder gezeugt, an denen er sich später vergangen hatte.

Interne Kritik an den Mißständen im Vatikan ist nicht neu. So schaffte Prälat Renato Dardozzi brisante Dokumente aus dem Staatssekretariat beiseite, welche die kriminellen Machenschaften der vatikanischen Bank, IOR Instituto per le Opere di Religione, aufzeigen sollten.

Der frühere Manager eines großen Telekommunikationsunternehmens Italiens war Mitglied jener päpstlichen Kommission, welche die Verhandlungen zwischen dem Vatikanstaat und den italienischen Banken führte, die nach dem Crash des Banco Ambrosiano eingerichtet worden war. Wissend um die Brisanz des Materials, verzichtete Dardozzi zu Lebzeiten auf die Publikation der von ihm gehorteten Dokumente. Er versteckte sie in einem Bauernhaus in der Südschweiz, wo sie erst nach der Eröffnung seines Testaments gefunden wurden.

Der Journalist Gianluigi Nuzzi erhielt den Auftrag, das rund 4.000 Dokumente umfassende Material zu einem Buch zu verarbeiten. Das Werk schlug in Italien wie eine Bombe ein.

Nun ist es wieder Gianluigi Nuzzi, der den Auftrag erhielt, ein Buch aus den aus den päpstlichen Gemächern entwendeten Dokumenten zu verfassen. Wer sein wirklicher Auftraggeber ist, bleibt im dunkeln. Die Veröffentlichung der peinlichen Dokumente erfolgt nur tröpfchenweise. Nicht nur im päpstlichen Appartement herrscht große Ratlosigkeit. Der Papst hat eine außerordentliche Kardinalskommission eingesetzt, die Gerüchten nachgehen soll, daß hochrangige Prälaten des Vatikans in diesen Informationsdiebstahl verwickelt sein sollen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von homosexuellen Seilschaften. Der Pegel des Mißtrauens steigt täglich. Vom Vertrauensbruch am meisten betroffen bleibt der deutsche Papst.

Einen wichtigen Entscheid hat nun Papst Benedikt XVI. gefällt, in dem er den amerikanischen Journalisten Greg Burke als Berater für Kommunikationsstrategien in den Vatikan berufen hat. Burke, der seit über zwei Jahrzehnten in Italien wohnt, war viele Jahre Reporter bei Fox News und ist Mitglied der katholischen Gemeinschaft Opus Dei. Sein zukünftiges Büro liegt im Staatssekretariat, ein absolutes Novum, das einen wesentlich erweiterten Informationsfluß erlauben wird. Ein geschickter Schachzug des deutschen Pontifex, der den Einfluß des Opus Dei im Vatikan deutlich stärken wird.

Trotz aller Unbill behält Papst Benedikt XVI. nach wie vor das Heft fest in der Hand. Dies zeigt die Ernennung seines Vertrauten Bischof Gerhard Ludwig Müller zum Leiter der Glaubenskongregation. Damit macht er deutlich, daß seine theologische Linie auch in Zukunft weitergeführt werden soll. Müller ist in Rom kein Neuling. Er gehört dem Gremium der Kongregation für die Glaubenslehre schon seit fünf Jahren an.

Mit seinen 64 Jahren wird er, bis zu seiner Pensionierung, das drittwichtigste Amt der katholischen Weltkirche für mehr als zehn Jahre innehaben und so die Möglichkeit besitzen, dieser wichtigsten Einrichtung seinen persönlichen Stempel aufzudrücken. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die nicht seine fundierten theologischen Kenntnisse betreffen, wohl aber seinen Charakter, der menschliche Offenheit vermissen lasse. In Rom sehen deshalb einige Prälaten seinem Kommen mit Vorbehalt entgegen.

 

Bischof Gerhard Ludwig Müller

Mit der Ernennung des Bischofs von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller, zum Präfekten der Glaubenskongregation ist Papst Benedikt XVI. ein Überraschungscoup gelungen. Müller gilt als enger Vertrauter Benedikts, der aus seiner Wertschätzung gegenüber der theologischen Arbeit Müllers nie einen Hehl machte. So sei dessen Lehrbuch „Katholische Dogmatik“ ein „Meisterwerk dieser Disziplin“, in dem Müller „die kritischen Fragen unserer Zeit durchdringe und Antworten finde, die dem Glauben neue Gegenwartskraft“ verliehen. Der zum Erzbischof Ernannte wird künftig auch die Päpstliche Kommission „Ecclesia Dei“ leiten, die sich dem Dialog mit den Piusbrüdern widmet. Zudem wird er Leiter der Päpstlichen Bibelkommission sowie der Internationalen Theologenkommission.

Foto: Papst Benedikt XVI. und sein Privatsekretär Georg Gänswein in der Sommerresidenz Castel Gandolfo: Einkehr und Vertraulichkeit statt Aura von Vertrauensbruch und Verrat

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen