© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Wie geht’s weiter mit dem Euro?
Zehn Szenarien – und was sie für Deutschland bedeuten
(JF)

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Die Euro-Zauberlehrlinge sind mit ihrem Latein am Ende: Die Schleusen sind seit dem letzten EU-Gipfel weit geöffnet, Spanien und Italien dürfen auf Zugang zu Finanzhilfen ohne störende Auflagen hoffen, die „Troika“ trägt wieder Euro nach Athen, Bankenunion und „Eurobonds“ sind in Sicht. Mit dem permanenten „Rettungsschirm“ ESM wird der Vertragsbruch zur Dauereinrichtung, alles ist verhandelbar, auf Verträge ist schon lange kein Verlaß mehr. Keiner weiß, wie es mit dem Euro weitergeht, am wenigsten die Rettungseuropäer selbst. Medien und Fachleute überschlagen sich mit immer neuen Szenarien. Wir versuchen uns an einem groben Überblick und stellen einige Wegweiser auf.(mp)

 

Szenario 1

Griechenland steigt aus

Darauf wartet im Grunde die gesamte Fachwelt. Banken und international operierende Unternehmen treffen für den „Grexit“ längst Vorkehrungen, der nächste „Schuldenschnitt“ liegt schon wieder in der Luft. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn predigt es seit Jahr und Tag: Nur ohne den Euro, mit der Möglichkeit, seine eigene Währung abzuwerten, kommt Griechenland nach einer bitteren Durststrecke wieder auf die Beine; bleibt es im Euro, wird es entweder vom Anpassungsdruck stranguliert oder bleibt auf Dauer am Tropf europäischer Transferzahlungen. Auf letztere Option setzen die griechischen Politiker. Führt Griechenland die Drachme wieder ein, brechen seine Banken zusammen, Auslandsschulden des griechischen Staates, seiner Banken und Privatleute wären wertlos, bisherige Hilfszahlungen verloren. Für Deutschland käme rasch ein dreistelliger Milliardenverlust zusammen. Griechenlands Daueralimentierung als Europas Mezzogiorno wäre aber kaum billiger. Und: Je später der unvermeidliche Euro-Ausstieg Griechenlands kommt, desto mehr Dominosteine reißt es mit sich.

 

Szenario 2

Spanien muß als nächstes „gerettet“ werden

Spanien gilt als das nächste Griechenland. Über einen Bankenfonds haben die Iberer den „Rettungsschirm“ schon angezapft. Das Defizit ist zu hoch, Staat und Privatwirtschaft sind überschuldet, die ohnehin nicht sehr starke Industrie liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit hat fast 25 Prozent erreicht, keiner weiß, wie viele Leichen die Immobilienblase im Keller der spanischen Banken angehäuft hat. Der Bedarf für eine „Rettung“ Spaniens bei anhaltenden Refinanzierungsproblemen wird auf knapp 450 Milliarden Euro geschätzt. Und Spanien fiele als Garant und Geldgeber für EFSF und ESM ebenfalls aus – das deutsche Haftungsrisiko stiege weiter.

 

Szenario 3

Italien greift in den Topf

Mario Monti weiß schon, warum er sich erleichterten Zugriff auf den ESM-Topf gesichert hat. Noch mehr Schulden machen, um andere Schuldenmacher zu stützen, das kann auf Dauer nicht gutgehen. Zwar könnte Italien mit seiner leistungsfähigen Wirtschaft und einem Anteil privater Vermögen am Bruttoinlandsprodukt, der höher ist als in Deutschland, seine Finanzprobleme auch selbst lösen; aber dazu müßte man den Privilegierten, also auch sich selbst, unangenehme Dinge wie Steuern zu zahlen zumuten. Einfacher ist da der Griff in die Taschen des deutschen Steuerzahlers, indirekt über Eurobonds oder direkt über den ESM, besonders wenn keine lästigen Bedingungen damit verknüpft sind. Fällt Italien aus, steigt der deutsche Haftungsanteil auf 43 Prozent.

 

Szenario 4

Belgien und Frankreich nähern sich der Pleite

Wenn sich das überschuldete Belgien und das notorisch reformunwillige Frankreich mit seinen gigantischen Deckungslöchern auch noch in die Schlange der Rettungskandidaten einreihen, steht Deutschland mit dem Haftungsrisiko für Rettungskredite, EFSF, ESM, IWF-Hilfen, EZB-Staatsanleihenkäufe, Target2-„Dispo“-Schulden der anderen Notenbanken schon ziemlich alleine da. Das Gesamtvolumen all dieser Euro-Rettereien wird auf derzeit 2,2 Billionen Euro geschätzt.

 

Szenario 5

Deutschland geht selbst bankrott

2,2 Billionen Euro – das ist viermal das gesamte deutsche Jahressteueraufkommen und noch einmal die kumulierte deutsche Staatsschuld. Und das ist nur die bereits vereinbarte Spitze des Eisbergs: Die gesamten Staatsschulden nur der GIIPS-Staaten (Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien) belaufen sich auf drei Billionen, die Defizite ihrer Banken auf geschätzte über neun Billionen Euro. Wird auch nur ein Teil dieser Risiken fällig, lassen sich die Folgen leicht ausrechnen: Deutschlands Bonität geht in den Keller, die Kosten des staatlichen Schuldendienstes explodieren, Steuern steigen, Staatsfinanzen und Privatwirtschaft kollabieren, Bürger verarmen, wer kann, bringt sein Kapital außerhalb Europas in Sicherheit – dann klopft der Staatsbankrott auch an die deutsche Türe. Und spätestens dann ist auch der Euro am Ende – siehe Szenario 8.

 

Szenario 6

Der Euro rettet sich in Fiskal-union und Finanzdiktatur

Die fixe Idee von Kanzlerin, Bundesfinanzminister und politischer Klasse: Wenn wir schon für die anderen zahlen müssen, dann könnte man doch die demokratischen Nationalstaaten gleich ganz abschaffen und über Fiskal- und Wirtschaftsunion eine Finanzdiktatur errichten, damit es wenigstens etwas Kontrolle gibt. Wolfgang Schäuble geniert sich nicht einmal mehr, dieses Resultat als Masterplan hinter der ganzen Euro-Einführung zu verkaufen. Der Haken: Keiner will neue Regeln und Auflagen, wo es doch schon so angenehm war, die alten zu brechen; und außer den Deutschen will auch keiner ernsthaft auf seine nationale Souveränität verzichten. Aussichten für dieses Szenario: Zweifelhaft.

 

Szenario 7

Die Währungsunion spaltet sich in Nord- und Süd-Euro

Ex-BDI-Chef Hans Olaf-Henkel wirbt schon lange für diese Option. Auch ein bekannter Vermögensverwalter prophezeit einen „Kern-Euro aus den ökonomisch weitgehend homogenen und kulturell sehr ähnlichen Volkswirtschaften Mitteleuropas sowie nationale Währungen in vielen heutigen Euro-Zonen-Ländern am Mittelmeer“. Aber das wäre eine Lösung, die sich an den ökonomischen Realitäten orientiert – und die Rettungseuropäer sind ja bekanntlich wild entschlossen, diese Realitäten außer Kraft zu setzen. Zudem wäre dieses wohl chancenlose Szenario ja im Grunde nichts anderes als die Rückkehr zu Vor-Euro-Verhältnissen mit einer D-Mark-Zone der sparer- und geldwert-orientierten Notenbanken und dem inflationsfreudigeren Rest.

 

Szenario 8

Der Euro zerfällt komplett

Dieser Fall könnte eintreten, wenn Griechenland und weitere überschuldete Peripheriestaaten mit dem Euro-Austritt zu lange zögern: Die gegenseitige Verflechtung des Banken- und Finanzwesens mit wertlosen Staatspapieren könnte eine Kettenreaktion auslösen. Konzernlenker wie BMW-Chef Norbert Reithofer und andere Euro-Verteidiger warnen für diesen Fall vor einer „Katastrophe“ mit Billionenverlusten: Entwertung von Lebensversicherungen, Verlust deutscher Direktinvestitionen in den Peripheriestaaten, Einbruch von Wirtschaftsleistung und Exporten durch eine stark aufwertende Neu-DM und abwertende Südwährungen, steigende Arbeitslosigkeit. Weniger ist davon die Rede, daß der Einbruch nach einer Durststrecke auch rasch wieder überwunden werden kann, daß Deutschland die besten Chancen dafür hat, weil es international gefragte Produkte hat, die schon jetzt in wachsendem Maße außerhalb der Euro-Zone verkauft werden. Wenig ist auch davon die Rede, daß eine starke Währung zwar die Exportwirtschaft stört, aber Importe verbilligt und durch höhere Massenkaufkraft den allgemeinen Wohlstand auch fördert. Und: Eine unkontrollierte Transferunion mit jährlichen Transfers an die Südländer in zweistelliger Milliardenhöhe käme auf längere Sicht wohl noch teurer als ein Euro-Zusammenbruch.

 

Szenario 9

Deutschland steigt aus dem Euro aus

Das gescheiterte Experiment beenden, bevor alle pleite sind, auch Deutschland selbst – das wäre eine Alternative der Vernunft. Aber die hat die Kanzlerin mit ihrem „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ von vornherein kategorisch ausgeschlossen und Deutschland damit erpreßbar gemacht. Je länger die Verstrickung in die Euro-Rettung geht, desto größer allerdings die Ausstiegskosten und die abzuschreibenden Verluste – für Staatskasse, Wirtschaft und Privatleute durch ausfallende Forderungen und entwertete Anlagen. Interessierte Kreise – Konzernlenker, Politiker, Finanzkreise – nutzen das, um der dummen Volksmehrheit, die sich mit dem Gedanken anfreunden könnte, Angst einzujagen und Horrorszenarien wiederkehrender „Kleinstaaterei“ an die Wand zu malen. Fraglich ist, ob die Ausstiegskosten tatsächlich höher wären als die Kosten einer unbegrenzt fortgesetzten Euro-„Rettung“.

 

Szenario 10

Alle wursteln weiter, Deutschland zahlt

Das wohl wahrscheinlichste Szenario: Rettungspaket folgt auf Rettungspaket, Transferzahlung auf Transferzahlung, Deutschland kann nicht mehr nein sagen, mitgefangen, mitgehangen. Immer wenn es nicht mehr weitergeht, druckt die EZB Geld oder kauft Staatsanleihen, marode Banken werden per Bankenunion durch die Sicherheiten der soliden gestützt, Schulden und Risiken werden per Banken-Union und Eurobonds vergemeinschaftet, Sparer und Vorsorger werden durch Geldentwertung enteignet und bezahlen die Zeche. Das Ergebnis ist das gleiche wie in Szenario 5 und 8, es dauert nur länger: Spätestens wenn auch Deutschland pleite ist, ist die Party vorbei.

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