© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Mit Konfetti in den Ruhestand
Zwickauer Terrorzelle: Mit dem Sturz von Verfassungsschutzchef Heinz Fromm fordert die NSU-Mordserie ihr erstes politisches Opfer
Marcus Schmidt

Die Brisanz, die in der Aktenvernichtung im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz steckt, war sofort allen Beteiligten klar. Mit fassungslosem Entsetzen kommentierten die Obleute des Bundestagsuntersuchungsausschusses zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in der vergangenen Woche die gerade bekannt gewordene „Aktion Konfetti“. Von einem „unerhörten Vorgang“ sprach FDP-Obmann Hartfrid Wolff und sein Kollege von den Grünen, Wolfgang Wieland, gab den Ton vor, der seitdem die Debatte bestimmt. Angesichts der Vorgänge stelle sich die Frage, ob die Aussage aufrechterhalten werden könne, die Mitglieder der Zwickauer Terrorzelle hätten nicht auf der Lohnliste des Geheimdienstes gestanden (Kommentar Seite 2).

Schon bevor der konsterniert wirkende Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm am Sonntag Bundesinnenminister Friedrich (CSU) nachdrücklich um seine Versetzung in den Vorruhestand bat, hatten sich die Ermittlungen zur Zwickauer Terrorzelle damit endgültig zu einer Geheimdienstaffäre ausgeweitet. Fromm erscheint in dieser Affäre, die einen eigenen Untersuchungsausschuß rechtfertigen würde, als tragischer Held, der von einigen seiner Mitarbeiter hintergangen worden ist. Nicht nur von seiner Partei, der SPD, wurde Fromm daher geschont und hervorgehoben, daß ihm die Verhinderung rechtsradikaler Gewalt stets ein persönliches und politisches Anliegen gewesen sei. Auch Friedrich ließ keine Zweifel an der persönlichen Integrität des Mannes, der zwölf Jahre lang an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes stand.

Was auch immer in den vernichteten Akten stand: Der Verdacht, daß sie Bezüge zu dem Terror-Trio enthielten und damit eine zumindest zeitweilige Verbindung des Geheimdienstes zu den Mitgliedern der Zwickauer Zelle bestand, wird sich nur schwer aus der Welt schaffen lassen. Konkret geht es bei der Affäre darum, daß ein Referatsleiter des Verfassungsschutzes im November vergangenen Jahres ausgerechnet an dem Tag, an dem die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen im Fall der Terrorzelle übernommen hat, wichtige Akten vernichten ließ. In diesen Unterlagen fanden sich Erkenntnisse aus der Operation Rennsteig, mit der die Verfassungsschützer aus Köln, Thüringen und vom Militärischen Abschirmdienst seit 1996 V-Leute im Thüringer Heimatschutz anwerben wollten, jener Gruppe von Rechtsextremisten, zu der auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zählten. Laut Spiegel wurden damals über 35 potentielle Zuträger Akten angelegt, sieben Dossiers von V-Leuten sollen der Aktion Konfetti 2011 zum Opfer gefallen sein. Keiner der schließlich angeworbenen V-Leute hat nach Aussage Fromms zum Führungskreis des Heimatschutzes gehört, und niemand habe Informationen zum NSU geliefert. Auf einer Liste des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz tauchten indes im Zusammenhang mit der Operation Rennsteig neben zahlreichen anderen Rechtsextremisten aus Thüringen auch die Namen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auf.

Daß diese Informationen allen möglichen Spekulationen Tür und Tor öffnen, ist dem Ausschußvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) bewußt. „Die skandalöse Vernichtung einschlägiger Akten ist nicht dazu geeignet, Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen“, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. Einen Tag nach dem Rücktritt Fromms lud der Ausschuß daher den für die Aktenvernichtung verantwortlichen Referatsleiter als Zeuge vor. Gemeinsam mit dem scheidenden Verfassungsschutz-präsidenten soll er an diesem Donnerstag Rede und Antwort stehen. Da gegen den Mann bereits ein Disziplinarverfahren läuft, kann er allerdings die Aussage verweigern. Für Mittwoch hatte sich der Ausschuß zudem in der Berliner Zweigstelle des Bundesamtes angesagt, um noch existierende Akten zur Operation Rennsteig zu sichten.

Mit der Affäre um den Verfassungsschutz gerät die gesamte Sicherheitsarchitektur in Deutschland endgültig ins Wanken. Spätestens nach dem Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses, der im kommenden Jahr mit dem Ende der Legislaturperiode vorliegen muß, dürfte hier kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Vor allem die Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Polizei sowie der föderale Aufbau der Sicherheitsbehörden gerät immer stärker in die Kritik.

Bis zur Schredder-Affäre kreiste im Ausschuß alles um die Frage, warum es nicht gelungen ist, die Ermittlungen in der damals in der Öffentlichkeit als „Dönermorde“ bekannt gewordenen Mordserie zentral, etwa beim Bundeskriminalamt (BKA) oder einem Landeskriminalamt zu konzentrieren. Zeugen wie der ehemalige BKA-Vizepräsident Bernhard Falk, der vor dem Ausschuß die Organisation der Ermittlungen rückblickend als „stümperhaft“ bezeichnet hatte, sehen hierin einen möglichen Grund für den Mißerfolg der Ermittler.

Von einem Umbau der Sicherheitsarchitektur wird auch das BKA nicht verschont bleiben. Dessen Präsident Ziercke dürfte das Ansehen seiner Behörde mit seiner in Berlin einhellig als desaströs gewerteten Zeugenvernehmung vor dem Untersuchungs-ausschuß in der vergangenen Woche zusätzlich beschädigt haben. Zwar räumte er ein, daß seine Behörde dabei versagt habe, die Morde zu verhindern. Sein aggressives Auftreten und die merkwürdigen Erklärungsversuche riefen bei den Abgeordneten aber Entsetzen und Kopfschütteln hervor. Folgt man Ziercke, endete die Mordserie an den Ausländern allein deshalb, weil 2006 beim BKA eine Steuerungsgruppe zur Koordination der Ermittlungen eingerichtet und zudem eine Rekordbelohnung von 300.000 Euro ausgesetzt wurde.

Aus dem Umfeld des Ausschusses ist unterdessen zu hören, daß die Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft zum NSU-Komplex sehr schleppend verlaufen. Obwohl bislang rund 90 Prozent der Asservate aus der Zwickauer Wohnung des Trios und des Wohnmobils, in dem Böhnhardt und Mundlos starben, ausgewertet wurden, haben sich keine durchschlagend neuen Erkenntnisse ergeben. Durch die Entlassung mehrerer Helfer aus dem Umkreis der Terrorzelle ist der Druck auf die Ermittler in den vergangenen Wochen weiter gewachsen. Auch aus diesem Grund wird spätestens für den Herbst mit ersten Anklagen gerechnet.

Foto: Fromm und Ziercke im Januar vor der Bundespressekonferenz: Dem Ansehen der Behörde geschadet

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