© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Flammenzeichen am Reichstag
ESM-Abstimmung: Nur wenige Abgeordnete stemmen sich im Bundestag gegen die Einheitsfront aus Union, SPD, FDP und Grünen
Paul Rosen

Die Nacht ist tiefschwarz in Berlin. Blitze zucken über dem Reichstag, als die Abgeordneten am vergangenen Freitag das Parlament verlassen. Gerade haben sie wieder einmal den Euro „gerettet“ und Beschlüsse gefaßt, deren Inhalte ihnen unvollständig oder in englischer Sprache mitgeteilt worden waren. Solange man sich kein Bild davon machen könne, was eigentlich in Brüssel beschlossen worden sei, „darf über Gesetze nicht beraten und entschieden werden“, hatte der Marburger Rechtsprofessor Sebastian Müller-Franken in der Süddeutschen Zeitung gewarnt. Vergeblich. Die angeblich alternativlose Rettungspolitik geht in die nächste Runde.

Kanzlerin Angela Merkel nannte den mit den gefaßten Beschlüssen über den Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt eingeschlagenen Weg „unumkehrbar“ und lobte das Signal der Geschlossenheit, das von Berlin ausgehe. Nur die Abgeordneten der Linken und ein knappes Dutzend Abgeordnete aus den anderen Fraktionen mochte da nicht klatschen. Der Rest folgte blind den Fraktionsführungen, und die Volksvertreter ließen sich auch nicht von der Warnung des Innenausschuß-Vorsitzenden Wolfgang Bosbach (CDU) beeindrucken, der einen Wandel von der Währungs- in eine Haftungsunion sah.

Beklemmend war es, wie im Bundestag mit einem Antrag der Linken auf Verschiebung der Abstimmung und Debatte umgegangen wurde. Deren Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann hatte dies verlangt, weil die Rechte des Parlaments mit „Füßen getreten worden“ seien. In der Tat war am Morgen auf dem EU-Gipfel vereinbart worden, Hilfen an klamme Länder schon bei Erfüllung von Minimalbedingungen zu gewähren und auch Banken in Spanien direkt zu helfen. Daß damit die vorliegenden Gesetzesänderungen keinen Bestand mehr hatten, lag auf der Hand, aber nicht für den Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, der vor einem „falschen Signal“ warnte, wenn Deutschland jetzt kein Zeichen setze. Grosse-Brömer sprach für alle anderen Fraktionen und setzte damit auch – absichtlich – ein Gleichschrittssignal von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen. Parallelen zu den „Parteien der nationalen Front“ der DDR, wo es zum Sozialismus keine Alternative gab und der Weg zum Kommunismus auch als unumkehrbar galt, bieten sich an.

Innerhalb des Euro-Blocks gab es gerade mal ein Dutzend Abgeordnete, die den Mut hatten, sich gegen Billionen-Bürgschaften zu stellen. Allein die deutsche Haftung für den ESM liegt jetzt bei 310 Milliarden Euro, obwohl noch vor kurzer Zeit die „rote Linie“ bei 211 Milliarden fixiert worden war. Zusammen mit den Target-2-Schulden der Bundesbank von 800 Milliarden und den Käufen von südeuropäischen Schrottanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB), die über 400 Milliarden Euro ausmachen und von SPD-Chef Sigmar Gabriel bereits als „Eurobonds“ bejubelt wurden (weil auch Deutschland eines Tages die EZB refinanzieren muß), rückt die Zwei-Billionen-Grenze näher.

Doch der Widerstand beschränkt sich auf bekannte Gesichter. Frank Schäffler von der FDP etwa, der von einem „Scheideweg für Europa“ sprach, vor einem „europäischen Einheitsstaat und einem europäischen Einheitsbürger“ warnte und hinzufügte: „Wir legen heute die Lunte an das Haus Europa.“ Mit Schäfflers Forderung nach einer Volksabstimmung, wenn ein neuer Staat geschaffen werde, setzte sich kein anderer Redner auseinander. Aber die Tatsache, daß Schäffler Beifall von den Linken bekam, mißfiel Hubertus Heil (SPD), der in der Sorge um das Geld der Deutschen bereits Nationalismus sieht: „Die Art und Weise, wie der Nationalismus von Herrn Schäffler sich mit dem Applaus der Linkspartei verbindet, ist ein bezeichnendes Bild.“ Wie Schäffler äußerte sich auch Klaus-Peter Willsch (CDU) fundiert und hob sich wohltuend von der Phraseologie seiner Parteifreunde ab. Er berichtete von Menschen, die Angst um ihre Ersparnisse hätten „angesichts schwindelerregender Schuldentürme“. Er erinnerte daran, wie die Bundesregierung von der Opposition und anderen europäischen Regierungen regelmäßig erpreßt worden sei: „Wir müssen diese Politik beenden. Zurück auf Los“, verlangte Willsch, dessen Rederecht genau wie das der anderen Dissidenten wenigstens in dieser Sitzung nicht umstritten war. Der SPD-Abgeordnete Peter Danckert sprach von einem „Trauerspiel“, weil das Handeln der Regierung nicht der Verfassung entspreche.

Der CSU-Parteirebell Peter Gauweiler sprach von „dieser ganz großen Koalition“, die zwar Fragen anspreche, aber nicht zu Ende diskutiere. Es werde mit dem ESM ein neues völkerrechtliches Subjekt geschaffen, „das ohne demokratische Absicherung und Legitimation das größte Haftungsprojekt in der Bundesrepublik Deutschland ist. Das ist völlig unbegreiflich“, sagte Gauweiler, der im Handelsblatt schon vor der „kontinentalen Finanzdiktatur“ gewarnt hatte. Gauweiler fragte, ob im Fall des Risikoeintritts auch ein Totalverlust noch refinanzierbar sei. Eine Antwort bekam er darauf ebensowenig wie auf seine Forderung, Merkel und der SPD-Finanzexperte Peer Steinbrück sollten wie schon 2008 eine Garantie für alle Spareinlagen abgeben. Würden sie das nicht tun, dürften sie den ESM und Fiskalpakt nicht beschließen.

Man sah in den Gesichtern der Abgeordneten der Unionsfraktion zu diesem Zeitpunkt, daß Gauweiler einen argumentativen Volltreffer gelandet hatte. Als sie den Reichstag verließen, war eine Lichtinstallation des Bundestages am Paul-Löbe-Haus zu sehen: „Dem deutschen Volke“, schimmerte in Großbuchstaben an der Wand. Ein Flammenzeichen. Und alle haben es gesehen.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kreise von Koalitionsabgeordneten während der Abstimmung: Argumentativer Volltreffer

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