© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Urteil zur Beschneidung
Kampf um die Vorhaut
Birgit Kelle

Seit das Kölner Landgericht die Beschneidung von Jungen als rechtswidrig eingestuft hat, tobt bis ins deutsche Feuilleton ein Kampf um die männliche Vorhaut.

Doch was hier als angeblich kriminelle Handlung der Eltern an ihren eigenen Kindern bewertet wird, ist weltweit etabliert. In Amerika werden nahezu 50 Prozent aller Jungs beschnitten, in manchen afrikanischen und asiatischen Ländern sogar bis zu 80 Prozent. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der muslimischen und jüdischen Tradition. Selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO finanziert im Rahmen der Aids-Prävention Programme, die die Beschneidung von Jungen fördern soll, weil dadurch das Infektionsrisiko sinkt.

Das soll jetzt in Deutschland fortan kriminell sein? Wer das ernsthaft durchsetzen will, sollte sich auch mit den Konsequenzen auseinandersetzen: Erstmals wieder wäre es in Deutschland Juden verboten, ihren Glauben mit allen Facetten offen zu leben. Was für ein Signal. Kinderärzte wären demnächst verpflichtet, jüdische und muslimische Eltern nach der nächsten U-Untersuchung wegen Körperverletzung anzuzeigen.

Und nein, die Beschneidung von Jungen ist auch nicht gleichzusetzen mit der weltweit zu Recht geächteten Beschneidung von Mädchen. Diese wird in einem grausamen und schmerzvollen Ritual vorgenommen mit dem einzigen Ziel, Mädchen und Frauen für den Rest ihres Lebens einer befriedigenden oder gar lustvollen Sexualität zu berauben. Es ist ein Akt der Unterdrückung.

Dies Urteil verdeutlicht zudem noch eine ganz andere Diskrepanz: Eltern entscheiden auch sonst in der Regel über die Gesundheit ihres Kindes. Manche lassen ihre Kinder nicht impfen, mit dem Risiko unnötiger Infektionen. Körperverletzung? Manche lassen den Kindern abstehende Ohren anlegen. Körperverletzung? Und wieder andere lassen sie im Mutterleib sterben, weil sie unerwünscht sind und entscheiden damit sogar über Leben und Tod ihres Kindes. Beschneidung nein, aber Abtreibung ja? Machen wir uns nichts vor – beschnitten würden die Jungen auch weiterhin, aber nicht mehr unter hygienisch einwandfreien Umständen in der Charité, sondern von Scharlatanen in Hinterhöfen.

Wer sich also um das körperliche Wohl der Kinder sorgt, würde hier genau das Gegenteil bewirken.

 

Birgit Kelle ist Journalistin und Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus sowie Mitglied der New Women for Europe.

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