© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Von der Unteilbarkeit demokratischer Freiheit
Der Jurist Horst Meier kritisiert die um sich greifende Verbotskultur für abweichende Meinungen
Günter Bertram

Darf man dem ‘Kampf gegen Rechts’ ausgerechnet in Deutschland in den Rücken fallen? Man muß es, wenn die Regierenden demokratische Prinzipien zur Disposition stellen, nur um eine symbolische Politik zu betreiben.“ Diese Predigt von der Unteilbarkeit demokratischer Freiheit hält Horst Meier seit zwanzig Jahren, leider vor meist tauben Ohren. Nun hat er unter der Überschrift „Protestfreie Zonen?“ eine Reihe einschlägiger Essays versammelt. Schon dieser Titel, der mit einem nur angedeuteten „Unwort“ in lässiger Ironie spielt, soll offenbar Anstoß erregen: Welcher Teufel reitet einen „Linksliberalen“, ausgerechnet hier den Pfad der Tugend zu verlassen, um den falschen Leuten die Straßen frei zu argumentieren?

Erstens: Deutschland hat 1949 aus dem Scheitern der ersten Republik einen falschen Schluß gezogen, indem es seine neue Ordnung als „streitbar“ aufrüstete mit der paradoxen Folge, daß die Deutschen sich der Fähigkeit beraubten, über politische Streitfragen zu streiten, so daß sie damit ein trauriges Unikat unter den westlichen Demokratien geworden sind. Unsere oft gerühmte „Streitkultur“ besteht tatsächlich in hoheitlichem Verbieten, Verhindern, „Beobachten“, Ausgrenzen. Damit läßt sich kein Streiten erlernen! Solange die Linke sich vom Staat malträtiert gefühlt hatte, prangerte sie „Berufsverbote“ und dergleichen an. Nun, da sie selbst im Sattel sitzt und die öffentliche Meinung dirigiert, betreibt sie dasselbe Spiel, freilich arroganter und ganz ungehemmt. Alle früheren Nöte der Linken sind längst durch eine „innerstaatliche Feinderklärung gegen Rechts“ ersetzt worden; diese ist es, die die Rechtsordnung, die Verwaltungspraxis, den Medienbetrieb und das öffentliche Bewußtsein prägt.

Zweitens: Ein patentierter Demokrat scheint bei uns nichts inniger zu ersehnen, als daß der NPD endlich „das Handwerk gelegt“ wird und sie ersatzlos von der politischen Bühne verschwindet. Und wenn mancher die rein praktische Gefahr, mit einem entsprechenden Antrag in Karlsruhe erneut zu scheitern, für reichlich hoch hält, so ist er im Grunde doch vom gleichen Verbotswahn erfüllt. Nach Meier liegt der Skandal gerade darin, daß diese öffentlichen Wortführer weder vom verfassungsmäßigen Existenzrecht einer politischen Partei noch von deren allgemeinen Freiheitsrechten einen Schimmer haben.

Mit beißender Ironie schildert er die krummen Wege der Verbotsanträge und ihr blamables Scheitern: Glanzstücke seiner Publikation! Sein Ideal ist der Respekt, den der US-Supreme Court der Freiheit des Denkens, der öffentlichen Streitrede und der Demonstration verschafft hat – mit seiner Maxime, daß die Debatten über öffentliche Angelegenheiten „unbehindert“, „robust“ und „weit offen“ sein müssen, was auch Rassisten, Antisemiten, Neonazis, Anarchisten, Antipatrioten und Kriegsgegner einschließt. Die Grenze kann erst bei „clear and present danger“, das heißt konkret drohender Gewalt gezogen werden.

Bei uns aber wird schon weit im Vorfeld zur Jagd geblasen, und es werden bereits dort mit Hilfe des Verfassungsschutzes „geistige Brandstifter“ ausgemacht, wodurch tatendurstige „Antifaschisten“ gelegentlich zu einer besonderen „Zivilcourage“ aufgestachelt werden. Unter „Brandsätze – von geistigen und wirklichen Brandstiftern“ erinnert der Autor an den Brandanschlag sogenannter „Lesbenfrauengruppen“ am 4. Dezember 1994 auf die Weimarer Union Druckerei der JUNGEN FREIHEIT, der nur „auf beredtes Schweigen und gedankenlose Ignoranz, ja auf klammheimliche Freude“ gestoßen sei.

Da die Vorkämpfer des NPD-Verbots selbst wohl das dumpfe Gefühl beschlichen hatte, nur viel Papier (585 Seiten oder 2,3 kg; „einen Sack voll widerlicher Zitate“), aber nichts Handfestes gegen die Partei vorweisen zu können, kam ihnen die Mordserie des „NSU“ gerade gelegen, um „die NPD, das Flaggschiff der Rechtsradikalen, nun endlich zu versenken“. Auch dieser kläglich gescheiterte Versuch, eigene Schlamperei der NPD anzuhängen, ist dem Autor eine besondere Glosse wert.

Drittens: Aus allem Grau in Grau heben sich als Lichtblick die beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts heraus – der Zweite mit der fällig gewordenen Niederschlagung des NPD-Verfahrens im März 2003, der Erste durch seine liberale Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit, die schon seit dem Lüth-Urteil von 1958 gar nicht allzu weit hinter den Grundsätzen des Supreme Court zurückblieb. Später – nach der Wiedervereinigung – hatte sich das Protestmilieu verschoben, so daß die Frage aufkam, ob auch „Leute von rechts“ beim Senat soviel Verständnis finden würden wie die traditionell linke Klientel. In der Tat behielten die Richter auch hier die bewährten Maßstäbe bei – was auch die JUNGE FREIHEIT feststellen konnte, der im Mai 2005 gegen den NRW-Verfassungsschutz und das OVG Münster endlich ihr verfassungsmäßiges Recht zugesprochen wurde.

Natürlich wurden die Richter als „auf dem rechten Auge blind“ gescholten, was sie zunächst nicht anfocht, wie der Autor anerkennend bemerkt. Dann aber folgte „ der Sündenfall schlechthin“, das Wunsiedel-Urteil vom November 2009, das eine verfassungswidrige Ausweitung der Volksverhetzungsvorschrift mit rein politischen Argumenten akzeptierte – als Sonderrecht gegen NS-Verherrlichung. Der Autor ist verwundert, daß diese unschlüssige und in sich höchst widerspruchsvolle Entscheidung einstimmig – ohne ein einziges abweichendes Votum – ergehen konnte. Beobachter führen diesen auffälligen Spruch auf den politischen Druck zurück, dem der Senat sich ausgesetzt fühlte, „jedenfalls stempelt seine Apologie des Sonderrechts Neonazis als Grundrechtssubjekte zweiter Klasse ab. Heute, 65 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft, steht der symbolisch nachholende Antifaschismus der Deutschen, höchstrichterlich anerkannt, im Zenit. Wer das begrüßt, sollte nicht übersehen, daß damit schwere Kollateralschäden für die Bürgerrechte einhergehen.“

Auch über solche Begleitschäden weiß Meier Lesenswertes zu berichten. Der Senat aber scheint sich seither um Schadensbegrenzung zu bemühen, stellt in zahlreichen Sprüchen den Rang der allgemeinen Meinungsfreiheit wieder entschieden heraus und nimmt erneute Beschimpfungen und Prügel geduldig hin. Noch weiß keiner, wohin die Reise letztlich geht; und Gerichtsbesetzungen unterliegen stetem Wechsel. Aber Horst Meier wird sicherlich noch manche Gelegenheit finden, die Reihe seiner quer zum Mainstream gesetzten Kommentare zu verlängern.

 

Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg

Horst Meier: Protestfreie Zonen? Variationen über Bürgerrechte und Politik. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2012, broschiert, 332 Seiten, 39 Euro

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