© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Klimahysterie einst und jetzt
Unsere Erbsünde
Wolfgang Kaufmann

Im 6. Jahrhundert nach Christus vermeldete der byzantinische Historiograph Prokopios von Caesarea für das zehnte Regierungsjahr von Kaiser Justinian (535/36): „Und es begab sich, daß in diesem Jahr ein ganz furchtbares Zeichen am Himmel erschien: Die Sonne, ohne Strahlkraft, leuchtete das ganze Jahr hindurch nur wie der Mond und machte den Eindruck, als ob sie ganz verfinstert sei.“ Und ein anderer Zeitzeuge, Bischof Johannes von Ephesos, ergänzte: „Die Sonne war dunkel und diese Dunkelheit dauerte achtzehn Monate; jeden Tag schien sie für etwa vier Stunden; und dennoch war dieses Licht nur ein fahler Schatten.“

Als Ursache des Phänomens wird heute eine Doppelkatastrophe vermutet: Zum einen schlug offenbar im März 535 ein Himmelskörper von etwa 640 Metern Durchmesser im Golf von Carpentaria an der Nordküste Australiens ein, zum anderen brach ein tropischer Vulkan aus, wobei jedesmal Unmengen von Staub in die Atmosphäre geschleudert wurden.

Als Folge hiervon kam es zu einer drastischen Klimaabkühlung, welche das Byzantinische Reich mindestens ein Jahrzehnt lang schwer beeinträchtigte. So war es alles andere als Zufall, daß 541 die Große Justinianische Pest ausbrach, welche der weit bekannteren Pandemie des 14. Jahrhunderts, dem sogenannten „Schwarzen Tod“, in nichts nachstand: In beiden Fällen starb ein Drittel der Bevölkerung der betroffenen Gebiete. Wahrscheinlich verbreitete sich der Erreger mit den Schwärmen von Insekten, die unter den veränderten Temperaturen prächtig gediehen.

Ebenso negativ fiel die Bilanz des Kälteeinbruchs in Arabien, Mesopotamien, China, Korea sowie Mittelamerika aus. Erst kam es zu Seuchen beziehungsweise Hungersnöten und dann zu Migrationsbewegungen und nachhaltigen politisch-sozialen Umbrüchen. So konnte der Islam unter anderem deshalb seinen Siegeszug antreten, weil durch die demographische Implosion infolge der Abkühlung ein machtpolitisches Vakuum im Nahen Osten entstanden war. Desgleichen setzte nun der Niedergang der Hochkultur von Teotihuacan ein, die bis dahin einen Großteil des heutigen Mexikos dominiert hatte. Das alles ist in mehrerlei Hinsicht aufschlußreich.

Zum ersten wird damit bewiesen, daß vom Menschen unbeeinflußbare Ereignisse wie eben Vulkanausbrüche oder Asteroideneinschläge jederzeit für das schnelle Ende einer Warmphase sorgen können – immerhin fiel die weltweite Durchschnittstemperatur zwischen 535 und 545 um bemerkenswerte drei Grad. Zum Vergleich: Während der letzten Eiszeit war es im globalen Durchschnitt nur 2,9 Grad kälter als heute!

Und zum zweiten scheint es eben doch zu stimmen, daß die gesellschaftliche Entwicklung stärker von äußeren Bedingungen abhängig ist, als es die zahlreichen Kritiker eines derartigen Determinismus wahrhaben wollen. Zum dritten zeigt sich einmal mehr, worin die wirkliche Bedrohung für die Menschheit liegt: nämlich in der Abkühlung und nicht in der Erwärmung der Atmosphäre. Schließlich ist es eine unbestreitbare historische Tatsache, daß Warmphasen sehr viel eher mit positiven Effekten verbunden waren als Zeiten der Abkühlung.

So ermöglichte das holozäne Klimaoptimum vor 8.000 bis 6.500 Jahren die Seßhaftwerdung des Menschen und den Beginn des Ackerbaus. Ähnlich vorteilhaft verliefen das Optimum zur Römerzeit (zwischen 100 vor und 500 nach Christus) und die mittelalterliche Warmzeit zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert: Die Erwärmung erlaubte eine deutliche Vergrößerung der Anbauflächen, verbunden mit einer Steigerung der Agrarproduktion, mithin also wachsenden Wohlstand für fast alle, weswegen es in dieser Zeit auch vergleichsweise wenige soziale Konflikte gab.

Dahingegen brachten Abkühlungsphasen wie die nachfolgende „Kleine Eiszeit“, deren Höhepunkt in die Zeit zwischen 1570 und 1715 fiel, deutlich mehr Probleme mit sich – und das nicht allein wegen der exorbitanten Kälte im Winter. Man denke nur an die massive frühneuzeitliche Agrarkrise aufgrund der Verkürzung der jährlichen Vegetationsperiode, in deren Folge es zu Teuerungen, Hungerrevolten, Seuchen und schließlich zu massiven Übergriffen gegen soziale Minderheiten und andere, angeblich „Schuldige“ an der Misere kam; zu nennen wären hier insbesondere die „Hexen“ sowie Juden und Angehörige kleinerer christlicher Glaubensgemeinschaften. Erinnert sei darüber hinaus an den zeitgleichen Zusammenbruch der chinesischen Ming-Dynastie aufgrund ständiger kapitaler Mißernten im Verlaufe einer längeren Kälteperiode.

Zum vierten lohnt sich unbedingt aber auch ein Blick auf die Reaktion der Menschen angesichts der plötzlichen Klimaveränderungen mit all ihren negativen Folgen. Der byzantinische Kaiser Justinian zum Beispiel sah das Ganze als eine göttliche Belehrung aus Anlaß allgemeinen menschlichen Fehlverhaltens. Also ging er in sich und versuchte, Gottes Willen präziser als bisher gerecht zu werden, zum Beispiel indem er die Preise in seinem Imperium neu und damit vermeintlich gerechter festsetzte.

Außerdem unternahm er diverse Anstrengungen, die Untertanen zu mehr Gottesfurcht und Frömmigkeit zu erziehen. Besonders hatten es Justinian dabei die „Zügellosen“ und die Blasphemisten angetan, denn denen drohte er nun samt und sonders die Todesstrafe an, weil sie zuallererst für die Hungersnöte und Seuchen der vergangenen Zeit verantwortlich gewesen seien. Ebenfalls um Ursachenforschung bemüht war der eingangs erwähnte Johannes von Ephesos.

Dieser fanatisch moralisierende Kirchenmann, welcher nach eigenen Angaben bereits 70.000 „Heiden“ getauft hatte, verlängerte die Liste der für den Klimawandel und dessen Nachwirkungen verantwortlichen Sünder noch um all jene, die nach schnödem Reichtum strebten. Und er sah das Ende der Welt nahen, weil die Menschen selbst angesichts der göttlichen Prüfungen die Zeichen nicht erkennen wollten und noch mehr Schlechtigkeiten begingen.

Die Parallelen zu heute sind offenkundig: Zwar tritt an die Stelle des strafenden Gottes nun die strafende Natur, die sich mittels neuer, angeblich dramatischer Klimaveränderungen für alles rächt, was ihr seit dem Beginn der Industrialisierung oder sogar schon seit der Nutzung des Feuers von den Menschen angetan wurde. Ansonsten aber wird wieder die angebliche Gier und Zügellosigkeit vieler Erdenbewohner gegeißelt. Schuld am Klimawandel sind nun all jene Egoisten und Raffzähne in den westlichen Industrieländern, welche es im Winter zu Hause warm haben möchten, ab und an in den Urlaub fliegen, Fleisch verzehren und zu alldem auch noch ein Auto benötigen, um den Wohlstand zu erarbeiten, von dem nicht zuletzt auch die Klimaforschung finanziert wird.

Diese verstockten „Sünder“ haben jetzt gefälligst Buße zu tun, das heißt Verzicht zu üben und Geld, Geld und nochmals Geld für den Klimaschutz locker zu machen. Das schließt auch den Kauf von immer ausgefeilter konstruierten Ablaßbriefen ein – „Klimaneutralität durch Kompensation“ heißt das Zauberwort. Mittlerweile kann man, wenn man das nötige Geld hierfür hinblättert, „klimaneutral“ Auto fahren, bauen, drucken, essen, fliegen, grillen, heizen, im Internet surfen, kochen, Post versenden, Restaurants besuchen, Seereisen unternehmen und Veranstaltungen abhalten.

Bahnfahren hingegen gilt manchen mild gestimmten Klimapäpsten durchaus schon als CO2-neutral und damit tolerabel, aber so einfach macht es sich die Deutsche Bahn nicht, denn neuerdings findet man folgende Ermahnung auf den Faltfahrplänen im Waggon: Wer eine „Probe BahnCard 25“ erwerbe, leiste „einen noch größeren Beitrag zum Klimaschutz“ als der ordinäre Bahnkunde, denn „die Menge Energie, die Sie auf Ihren Fahrten im Fernverkehr durchschnittlich verbrauchen, wird von uns als Ökostrom eingekauft und ins Bahn-Stromnetz eingespeist“.

Da könnte jeder Klimaschützer erleichtert aufatmen, wenn es nicht die eine große und durch keinen noch so reichlich bemessenen Spendenobolus zu neutralisierende menschliche „Erbsünde“ gäbe: Wir unvollkommenen Wesen emittieren beim Atmen doch tatsächlich immer noch den „Klimakiller“ CO2 – ja, wir schaffen es sogar, daß der Anteil dieses teuflischen Gases in unserer Aus-atemluft einhundertmal höher liegt als in der übrigen Atmosphäre! Dagegen hilft dann wirklich nur noch der „Öko-Sex“ à la Stefanie Iris Weiss, denn dessen Adepten verzichten nicht nur auf Vibratoren mit Batterieantrieb, sondern auch auf die höchst klimaschädliche Reproduktion.

Bei nüchterner Betrachtung liegt der Schluß nahe, daß sich die modernen Klimahysteriker mit ihrer ewigen Suche nach Mitteln gegen eingebildete Verfehlungen nunmehr auf das Argumentationsniveau der religiösen Eiferer des Mittelalters begeben haben, was zu der Frage hinführt: Wann werden die ersten „Ketzer“, sprich Kritiker der These von der vom Menschen verursachten Erd-erwärmung, auf dem Scheiterhaufen landen? Oder wird man wegen der CO2-Bilanz doch lieber zur „klimaneutralen“ und darüber hinaus auch noch schariakonformen Steinigung übergehen? Sprachlich jedenfalls ist die große Keule schon seit längerem im Einsatz, denn die explizite Titulierung Andersdenkender als „Klimaleugner“ beispielsweise durch die grüne Bundestagsfraktion, bei der sich natürlich sofort Assoziationen in Richtung „Auschwitzleugner“ einstellen, soll ja offenbar genau die Art von Stigmatisierung bewirken, welche in der heutigen „Zivilgesellschaft“ die Vorstufe zu mehr oder weniger legalem Psychoterror beziehungsweise augenzwinkernd tolerierten physischen Attacken darstellt. Wer glaubt, dies sei übertrieben, der lese das Editorial von Klaus Liedtke, damals noch Chefredakteur von National Geographic Deutschland, in der Ausgabe vom Februar 2009.

Darin wird angeregt, „ewig Unbelehrbare“ wie „Klima-skeptiker“ und „Evolutionsgegner“ genauso juristisch zu verfolgen wie Holocaustleugner – was dann immerhin auf eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren und den nachfolgenden sozialen Tod hinausliefe. Ebenso werden, in schlechter alter Antifa-Manier, Internetpranger betrieben, an denen sich die prominentesten „Klimaleugner“ wiederfinden, freilich noch ohne mit der sonst obligaten Drohung „Wir kriegen euch alle!“ konfrontiert zu sein. Aber wie lange wird diese vornehme Zurückhaltung im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima wohl anhalten?

Ansonsten gilt nach wie vor, was der scharfsichtige Analyst Prokopius zu Kaiser Justinians Zeiten in seinem Geschichtswerk „Bella“ geschrieben hat: „Für alle Phänomene, die aus dem Himmel niederfahren, könnten vielleicht Waghalsige noch irgendeine Erklärung ihrer Ursache vorbringen – selbst Fachleute auf diesem Gebiet pflegen ja häufig wunderbare Gründe, die kein Mensch nachvollziehen kann, anzugeben oder abwegige Naturlehren zu erdichten. Sie sind sich dabei zwar wohl bewußt, daß sie nichts Vernünftiges sagen, halten es aber für ausreichend, wenn sie einige von den nächstbesten Leuten mit ihren betrügerischen Reden überzeugen.“

Der einzige Unterschied zwischen der Mitte des 6. Jahrhunderts und der Gegenwart ist, daß die Betrüger von heute inzwischen möglichst alle und nicht nur die Naivlinge von nebenan manipulieren und ausplündern möchten.

 

Dr. Wolfgang Kaufmann, Jahrgang 1957, Historiker, lehrte an der Uni Leipzig und ist heute im privaten Bildungssektor tätig. Zuletzt schrieb er auf dem Forum über die Todsünden der Geschichtswissenschaft („Klios Verderben“, JF 7/12).

Foto: Das Klima als eiskalter Killer: Nicht erst im Mittelalter wurden Dürreperioden, Überschwemmungen und Unwetter als gerechte Strafe für gottlose Gier interpretiert

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