© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Thyssen-Krupp hat sich verkalkuliert
Brüchiger Stahlkönig
Marc Brandstetter

Krupp war im Stahl einmal das Maß aller Dinge. 1840 bereits lieferten die Essener den besten Guß- und seit 1862 den führenden Bessemerstahl der Welt, obwohl beide Produktionsverfahren eigentlich in England erfunden worden waren. Das Unternehmen hatte das Patent auf den nahtlosen Radreifen für Eisenbahnwaggons, der das rollende Material von Rußland bis Amerika revolutionierte und Krupp weltweit bekannt machte – so bekannt, daß die drei ineinander verflochtenen Stahlräder bis heute das Logo des Unternehmens sind.

Im Kaiserreich ging es weiter aufwärts. 1887 zählte Krupp etwa 20.000 Mitarbeiter, zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte man bereits 80.000 und war damit das größte deutsche Privatunternehmen. Die Sozialleistungen von Krupp waren genauso legendär wie die Abteilungen für Forschung, Entwicklung und Materialprüfungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte sich Krupp von der einst dominanten Rüstungssparte ab. Nicht mehr Stahl und Kanonen dominierten nun das Geschäft, sondern die Projektierung von Großanlagen und der Bau schlüsselfertiger Fabriken, die Konstruktion von Spezialmaschinen und kühnen Brücken. Krupp profitierte vom Wirtschaftswunder und war längst ein global agierendes Unternehmen, als noch keiner von Globalisierung redete. Anfang der 1960er Jahre geriet das Unternehmen dann in eine schwere Finanzkrise. Die Summe der Verbindlichkeiten in der Konzernbilanz stieg auf 70 Prozent, die Banken meuterten, die Liquidität war gefährdet, nur eine staatliche Millionenbürgschaft konnte 1967 das Überleben des Konzerns sichern. Seitdem geht das Unternehmen durch zyklisch wechselnde Krisen – weder die Übernahme von Hoesch (1991) noch die von Thyssen (1999) schuf Abhilfe.

2007 wollte die Unternehmensleitung die Probleme durch einen gigantischen Befreiungsschlag lösen: Zwei Stahlwerke, die modernsten der Welt, eines in Brasilien, das andere in den USA, sollten die Wende bringen. Die Idee: In Brasilien sollten kostengünstig Erze abgebaut, verhüttet, zu Brammen gegossen, dann per Schiff nach Alabama transportiert und dort zu hochwertigen Blechen für die Industrie verarbeitet werden.

Gleich mehrere Faktoren machten einen Strich durch die Rechnung. Die Baukosten waren fünfmal höher als veranschlagt, die Fertigstellung mußte immer wieder verschoben werden. Als die Werke 2010 in Brasilien und Alabama anliefen, war es mit dem durch China ausgelösten Stahlboom vorbei. Die US-Autoindustrie, für die die Produktion gedacht war, berappelte sich aus einer Jahrhundertkrise. Nun sucht das Unternehmen einen Käufer für beide Werke. Früher oder später wird sich einer finden, aber der Konzern wird hohe Wertberichtigungen hinnehmen müssen, was Bilanzen, Ertrag und den schon arg gebeutelten Aktienkurs noch lange belasten wird.

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