© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Klare Rollenverteilung
Nordrhein-Westfalen: In der neuen rot-grünen Landesregierung gibt die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eindeutig den Ton an
Ansgar Lange

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hatte zwei gravierende personelle Konsequenzen: Die politischen Ambitionen des CDU-Politikers Norbert Röttgen haben einen starken Dämpfer erhalten, während die alte und neue Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) auf dem Zenit ihrer Macht steht. Nun hat sie die Weichen für ihre Regierungsmannschaft gestellt.

Ihrem neuen Kabinett gehören neun statt bisher acht Minister an. Der in seinem Amt völlig überforderte „Superminister“ Harry K. Voigtsberger trat nicht noch einmal an. Mit Michael Groschek wird ein treuer Kraft-Verbündeter und Parteisoldat Verkehrsminister in einem Bundesland, in dem Berufspendler täglich unter kilometerlangen Staus leiden. Der ostfriesische Importartikel Garrelt Duin übernimmt das Wirtschaftsressort. Da Kraft die „Energiewende“ und die Industriepolitik zur Chefsache erklärt hat, dürfte der 44jährige in die Rolle des politischen Lehrlings geraten. Als Duin noch Chef der Niedersachsen-SPD war, wurde ihm nachgesagt, daß er sich gegen das Schwergewicht Sigmar Gabriel nicht durchsetzen konnte: Keine guten Voraussetzungen für seinen neuen Job.

Beobachter der politischen Szenerie in Düsseldorf sagen, allenfalls Innenminister Ralf Jäger könne der starken Frau an der Spitze des Kabinetts das Wasser reichen. Den übrigen Ministern fehle entweder das Format oder der Biß. Die Grünen werden weiterhin für Schule, Umwelt und Gesundheit zuständig sein. Doch die Kräfteverhältnisse zwischen Hannelore Kraft und der 55 Jahre alten Pädagogin Sylvia Löhrmann von den Grünen haben sich verschoben. Löhrmann ist eindeutig Vize, Kraft hat das Sagen. Nachdem mit den Christdemokraten ein sogenannter Schulfrieden geschlossen wurde, stellt sich die Frage, mit welchen Themen sich die Ministerin für Schule und Weiterbildung künftig profilieren wird.

Die Opposition kritisierte derweilen pflichtgemäß den 200seitigen Koalitionsvertrag zwischen Koch (SPD) und Kellner (Grüne). Die „artgerechte Bienenhaltung“ sowie fair gehandelte „Natur- und Grabsteine“ seien der Regierung augenscheinlich wichtiger als dringend notwendige strukturelle Sparmaßnahmen. Der bisher blasse Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) muß dafür sorgen, daß seine Kabinettskollegen weitgehende Ausgabendisziplin wahren und bis 2017 eine Milliarde Euro strukturell eingespart wird. Für besonderes Argwohn bei der unterlegenen CDU sorgen angebliche „geheime Zusatzprotokolle“ zum Koalitionsvertrag.

Es überrascht nicht, daß die Opposition anzweifelt, daß die Politik der „Schuldenkönigin“ Kraft in den nächsten Jahren so ausfallen wird, daß ab 2020 keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Kraft will Einsparungen durch das Zusammenlegen von Verwaltungsstandorten, die Umstellung von Förderprogrammen auf öffentliche Darlehen und eine „erste Präventionsrendite“ erzielen. Unter Prävention versteht die taffe Regierungschefin letztlich aber neue Schulden, die dann wie von Zauberhand in ein paar Jahren für das Gegenteil – nämlich neue Einnahmen – sorgen sollen.

Unter Wirtschaftspolitik versteht Rot-Grün offenbar erst mal nur das Zurückfahren der Ladenöffnungszeiten. In der Gastronomie soll ein umfassendes Rauchverbot durchgesetzt werden. NRW soll das erste Bundesland werden, das den Klimaschutz gesetzlich regelt. Es ist müßig, alle geplanten Maßnahmen aufzuzählen, denn das Papier von Koalitionsverträgen ist geduldig. Doch Rot-Grün setzt eher auf eine Politik der Verbote und staatlichen Gängelung als auf neue und fantasievolle Entwürfe in der Wirtschaftspolitik. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, daß viele Menschen in NRW Hannelore Kraft – ob zu Recht oder zu Unrecht – für patent und sympathisch halten. Zündende Ideen werden von ihr augenscheinlich nicht erwartet. Daß hinter der „weichen“ Schale ein harter Kern liegt, über den sich hinter vorgehaltener Hand die Grünen beklagen, dringt nicht durch. Hannelore Kraft ist endgültig in die Fußstapfen von Angela Merkel getreten, der auch nicht unbedingt eine ambitionierte politische Programmatik nachgesagt wird.

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