© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Perfekte Inszenierung
Abrechnung: Axel Sven Springer, der Enkelsohn des großen Verlegers, sieht sich um sein Erbe gebracht
Walter H. Rabe

Aus einem solchen Stoff läßt sich leicht ein großes Verschwörungsdrama weben: ein Medien-Tycoon auf dem Sterbebett, eine geschäftlich unerfahrene Witwe („die spröde Friesin von der Insel Föhr“), ein umtriebiger, auf den eigenen Vorteil bedachter Rechtsberater und ein unklarer „letzter Wille“.

Das Buch mit dem beziehungsreichen Titel „Das neue Testament“, das Axel Sven Springer, Enkel des legendären Großverlegers, just Wochen vor den pompösen Feiern zum 100. Geburtstag seines „Granddaddy“ auf den Markt brachte, ist aber weniger ein Schlüsselloch-Roman über das Bild- und Welt-Imperium (wobei die Machtkämpfe nicht ausgespart bleiben) denn das Flehen einer zutiefst verwundeten Seele, bei der Mehrheitsaktionärin Friede Springer und ihrem Majordomus, Mathias Döpfner, Gehör – vielleicht auch ein Quentchen Gerechtigkeit – zu finden.

Folgt der Leser dem Autor, dann hat sich nach dem Tod des Verlegers am 22. September 1985 Unfaßbares zugetragen. Axel Cäsar Springer hatte in seinem Testament von 1983 seiner fünften Ehefrau Friede fünfzig Prozent des Vermögens und der Anteile am Unternehmen vermacht, Tochter Barbara und Enkel Axel Sven („Aggi“) sollten je 25 Prozent erhalten. Angeblich änderte er kurz vor seinem Tod nochmals den „letzten Willen“. Und da sah das schon anders aus: 70 Prozent für die Witwe, je zehn Prozent für die Kinder Barbara und Nicolaus, je fünf Prozent für die Enkel Axel Sven und Ariane.

Ein neues, notariell beglaubigtes Testament konnte aber nicht vorgelegt werden, nur Friede und der Testamentsvollstrecker Bernhard Servatius wollten von Springers Änderungsabsicht gewußt haben. „Vor meinem geistigen Auge entstand nach Servatius’ eindringlicher Schilderung das Bild eines bettlägerigen Mannes, der längst zu schwach gewesen war, noch einen Füller in die Hand zu nehmen, Dokumente zu unterschreiben, geschweige denn, einen Notar einzubestellen“, schreibt der Enkel, der „natürlich“ davon ausging, daß die Sache formal korrekt sein würde und nicht ahnen konnte, daß in die Springer-Schlangengrube auch Mitglieder der Familie fallen können.

Die Inszenierung war offenbar so perfekt, daß alle Beteiligten ihre Unterschrift leisteten. Der Leser muß sich in die Seele des 19jährigen versetzen: Axel Sven war noch nicht einmal mit der Schule fertig, er litt noch immer an den psychischen Folgen seiner Entführung aus einem Schweizer Internat, 68 Stunden hatte er im Kofferraum des Kidnapper-Wagens verbracht.

Im Vertrauen auf die Seriösität von „Onkel Bernhard“, so nannte er den mächtigen Strippenzieher, der sich als Nachfolger des Verlegers gerierte, verzichtete der Enkel „auf 80 Prozent meiner Anteile“ – zugunsten der Verleger-witwe. „Es dauerte viele Jahre, bis ich erfuhr, daß man mir damals nicht die ganze Geschichte über die letzten Wochen im Leben meines Großvaters erzählt hatte.“ Denn Axel Springer, der angeblich keinen Füller mehr in die Hand nehmen konnte, hatte noch fleißig Kontakte gepflegt, auch schriftliche, sein Freund Max Schmeling bekam sogar noch eine Geburtstagskarte. Doch juristisch konnte „Aggi“ nichts ausrichten, alle Klagen wurden negativ entschieden. Zehn Jahre dauerten die Rechtsstreitigkeiten, Gefühle wurden verletzt, „auf beiden Seiten“. Anwälte sind heute nicht mehr gefordert.

Und es glimmt bei „Aggi“ eine leichte Hoffnung. „Möglicherweise ist nun wieder Raum, um aufeinander zuzugehen.“ Etwa beim 70. Geburtstag von Friede Springer am 15. August? Der Rezensent des Vorwärts hat vermutlich recht: „Hier ist einer, der schreibend ruft: Ich würde doch so gerne mithelfen, den Verlag zu führen.“ Einer, der so denkt wie „Granddaddy“. Und der auch Mathias Döpfner Girlanden windet. Einzig Servatius, der sich in der umstrittenen Erbenvereinbarung gleich für 30 Jahre als Testamentsvollstrecker hatte einsetzen lassen (was später revidiert wurde), ist in dem Buch der Schurke. „Servatius auf ein Ja oder Nein festzulegen, war so, als wollte man aus Watte eine Brücke bauen.“

Wenn alles so stimmt, was, gegengelesen von renommierten Anwälten, zu Papier gebracht wurde, dann ist das Buch die Demaskierung eines 80 Jahre alt gewordenen Mannes, der vieles war: Aufsichtsratschef bei Springer, Aufsichtsratschef beim eingegangenen Rheinischen Merkur, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Vatikan-Delegierter bei UN-Institutionen. Des millionenschweren Mannes, der für die Führungskrisen im Konzern nach dem Tod des Patriarchen mitverantwortlich war und dem die Spitze des Hauses bis heute distanziert begegnet. Des Mannes, unter dessen Ägide im Frühsommer 1989 beschlossen wurde, DDR nicht mehr in Anführungszeichen zu setzen.

„Ich versuchte Bernhard umzustimmen“, berichtet „Aggi“, niemand solle der Geschichte vorgreifen. Aber Servatius ließ sich nicht bremsen. Am 1. August 1989 wurde der Beschluß exekutiert. Knapp drei Monate später fiel die Mauer dann tatsächlich: „Mich hätte es gefreut, wären die Anführungszeichen erst dann weggefallen“, schließt der Autor dieses Kapitel.

Axel Sven Springer: Das neue Testament. Mein Großvater Axel Springer, Friede, ich und der Strippenzieher. Die wahre Geschichte einer Erbschaft, Haffmans & Tolkemitt, Hamburg, 2012, 288 Seiten, gebunden, 19,95 Euro

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