© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

„Sie haben nicht zufällig eine Steckdose frei?“
CDU-Wirtschaftsrat: Verschlungene Wege aus der Staatsverschuldung / Anhaltende Kritik an Merkels Energiewende
Christian Dorn / Jörg Fischer

Vor zwei Jahren war es noch ein Heimspiel für Angela Merkel beim Wirtschaftsrat der CDU in Berlin. Doch dann kam die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Aber anders als beim Thema Euro folgte die Kanzlerin der Mehrheitsstimmung im Volk und setzte den Atomausstieg gegen heftigen Widerstand auch bei eigenen Anhängern durch. Auf dem Wirtschaftstag 2011 sprach noch RWE-Chef Jürgen Großmann stellvertretend aus, was viele CDU-Mitglieder von Merkels Energiewende halten.

Beim diesjährigen Treffen des CDU-Wirtschaftsflügels, der diesmal unter dem Motto „Deutschland und Europa neu denken: Wege aus der Staatsverschuldung“ stand, brachte es der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, höchstpersönlich mit einer ironischen Bemerkung auf den Punkt, als er Merkel versicherte, beim Wirtschaftsrat wirklich 100 Prozent Zustimmung zu finden: „84 Prozent für ihre Europapolitik, 16 Prozent für ihre Energiepolitik“.

Überdeutlich wurde der Dissens nicht nur dadurch, daß Merkels Gastauftritt lediglich 22 Minuten dauerte, sondern auch beim Podium „Industrieland Deutschland: Zwischen Innovation und Abriß“. Als Hauptkritiker entpuppte sich dabei Merkels Parteifreund Günther Oettinger. Aus der Sicht des EU-Kommissars für Energie ist Europa längst im Prozeß der „Deindustrialisierung“. Verantwortlich dafür sei nicht zuletzt Deutschland, denn es sei „Teil des europäischen Problems, nicht die Lösung“. Auf Oettingers Prophezeiung, daß die Jahre in Deutschland „nie mehr so gut“ sein würden wie heute, folgte die Drohung, daß sich Deutschland schon bald zu „solidarischen“ Gesten für Europa gezwungen sehen werde, die sich viele bislang nicht einmal vorstellen könnten.

Da sich Deutschland in seiner Energiepolitik „auf dem Weg zur Planwirtschaft“ befinde, werde der deutsche Strompreis – schon jetzt der höchste Europas – noch weiter „explodieren“. Daß der Preis zu 52 Prozent aus Marktkosten bestehe, die restlichen 48 Prozent aber auf das Konto der Politik gingen, sei nichts anderes als eine „demokratische Variante der Wegelagerei“.

Mit Blick auf die deutsche Energiestrategie diagnostizierte Oettinger eine „destruktive Position“. Die Abschaltung von Kernkraftwerken sei „keine Kunst“, die europäische Entwicklung laufe jedoch in die entgegengesetzte Richtung: „Wir schreddern unsere deutschen Ener­gieunternehmen, die nur noch halb so leistungsstark sind wie früher.“ Interessant seien diese nur noch für Anfragen für das Kultursponsoring. Außer „Sonntagsreden“ habe die Bundesrepublik zur Energiepolitik nichts wirklich beigetragen. Darüber hinaus kritisierte Oettinger scharf die von Deutschland forcierte Politik zur „Klimarettung“. Der zwanghafte Versuch der CO2-Reduktion sei „Gutmenschentum“. Oettingers Rat: „Also nicht mehr ausatmen!“

Was Deutschland dagegen echte Sorgen bereiten müsse, sei die fehlende energiepolitische Autarkie. Daß es nur für 24 Minuten Stromreserven gebe, versuchte Oettinger durch ein Beispiel zu dramatisieren: „Wenn wir nur noch für 24 Minuten Luft hätten, würden wir panisch werden“. Oettinger forderte den Bund auf, die Energiesteuern und die ökologischen Fördergelder zu senken. Unterstützung erhielt er hierbei von Michael Fuchs, Vizechef der Unionsfraktion. Dieser machte den „Vorschlag, den Bestandsschutz für die erneuerbaren Energien ebenso aufzukündigen wie bei der Atomkraft“. Mit Blick auf die Industrie versprach Oettinger, in Brüssel dafür zu kämpfen, daß diese unter anderem von CO2-Auflagen befreit wird. Der im Publikum geäußerten Hoffnung, ob vielleicht doch eine deutsche Rückkehr zur Kernkraft denkbar sei, erteilte Oettinger aber eine klare Absage: „Die Abschaltung wird tagesscharf passieren“.

Mit Blick auf die Energiewendeziele merkte Oettinger an, daß maximal 35 Prozent erneuerbarer Energie sinnvoll seien. Der Rest müsse durch Import von Atomstrom oder den Bau neuer Kohlekraftwerke gedeckt werden – was wiederum den hehren Zielen von Klimaschutz und CO2-Verminderung entgegenstehe. Überhaupt stünde der wachsende Strombedarf den Reduktionszielen diametral entgegen: „Wir brauchen Demonstrationen für Kohlekraftwerke“. In Stuttgart, so fügte der ehemalige CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs ironisch an, „sind ja jetzt einige Kapazitäten frei“. Abschließend bemängelte Oettinger mit Blick auf die deutschen Bundesländer die fehlende Kohärenz im Energienetz – und sprach damit den Wirtschaftsratsmitgliedern aus der Seele.

Ein praktisches Beispiel für den planwirtschaftlich angebahnten Stromausfall fand sich am Ende des Tages bei einer Szene im Foyer, wo sich wie jedes Jahr deutsche Großunternehmen und Spnosoren präsentieren. Ein Standvertreter, der dringend sein schwachbrüstiges iPhone aufladen mußte, fragte den Kollegen vom Nachbarstand: „Sie haben nicht zufällig eine Steckdose frei?“

Wirtschaftsrat der CDU e.V.: www.wirtschaftsrat.de

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