© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Ausländische Saisonarbeiter bekommen deutsches Kindergeld
Zahlemann und Söhne
Michael Paulwitz

Deutschland darf sich geschmeichelt fühlen, das Sozialamt Europas zu spielen. Meint jedenfalls wohl der Europäische Gerichtshof (EuGH). Sein Doppelurteil im Fall zweier Polen (Az: C 611/10 und C 612/10), eines Wanderarbeiters und eines entsandten Arbeitnehmers, die für die Dauer ihrer mehrmonatigen Saisonarbeit Kindergeld aus deutschen Kassen für ihre Familien in der Heimat eingeklagt haben, läßt sich kaum anders verstehen: Der deutsche Gesetzgeber habe durch seine bisherige enge Auslegung der Rechtslage eine „Chance“ verpaßt, „zur Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen der Wanderarbeitnehmer beizutragen“.

Gemeint ist die Antikumulierungsregel, von der die Kindergeldstellen bei ihren zur Beurteilung in Luxemburg vorgelegten Entscheidungen ausgegangen waren: Wer in einem anderen Land bereits sozialversichert und versorgt ist, sollte die gleichen Leistungen nicht noch in einem anderen EU-Staat erhalten. Für EuGH-Richter ist es hingegen „zulässig“, daß Deutschland neben der sozialen Hauptzuständigkeit des Heimatlandes Kindergeld zahlt, denn das unterstütze die Arbeitnehmerfreizügigkeit; und deshalb dürfe es auch keine Arbeitnehmergruppe ausschließen, nur weil diese im Heimatland schon versorgt werde, denn das behindere eben diese Freizügigkeit.

Im Klartext heißt dies: Deutschland soll weitere sozialstaatliche Anreize für den temporären Zuzug ausländischer Arbeitnehmer schaffen und dann aber gefälligst auch für möglichst umfassende Alimentierung sorgen. Bei 180.000 Wanderarbeitern und Erntehelfern, die allein in diesem Jahr erwartet werden, kann das teurer für den Steuerzahler werden. Das Kindergeld ist nur ein Anfang, weitere Ansprüche sind vorprogrammiert. Die Verrechnung der ausländischen Leistungen mit den deutschen, die der EuGH allenfalls zulassen möchte, ist angesichts des enormen Gefälles eher symbolisch. Worauf die Rechtsprechung des EuGH abzielt, liegt auf der Hand: So wie im Zuge der „Euro-Rettung“ die Haftung für Staatsschulden samt Fiskalhoheit und Deckungsvermögen der nationalen Volkswirtschaften sozialisiert wird, sollen durch exzessive Auslegung des Prinzips der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch die Sozialsysteme vergemeinschaftet werden.

Da aber die deutschen Sozialkassen im EU-Vergleich immer noch prall gefüllt und die Zahlungsfähigkeit und Ausbeutungswilligkeit noch lange nicht ausgereizt sind, und weil ferner deutschen Behörden und Gerichten zuzutrauen ist, derlei begierigen Anmaßungen pedantisch bis zur Selbstzerstörung nachzukommen, heißt das in letzter Konsequenz: Deutschland wird nicht nur als Schuldengarant der letzten Instanz für alle Lotterbrüder, sondern auch als Sozialamt Europas unentrinnbar festgenagelt. Noch eine Nebenwirkung der europäischen Unionsseligkeit, vor der uns vorher keiner gewarnt hat.

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