© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

„Die Revolution ist erst beendet, wenn es das Militär befiehlt“
Ägypten: Im Zuge von Parlamentsauflösung und undurchsichtiger Präsidentenwahl geriert sich der Rat der Streitkräfte als Staat im Staate
Marc Zöllner

Nach den Auszählungen der Präsidentschaftswahlen in Ägypten vom letzten Wochenende herrscht Ratlosigkeit. Zwar verkündete der Kandidat der Muslimbrüdern nahen FJP, der Luftfahrtingenieur Mohammed Mursi, noch in der Wahlnacht den Sieg über seinen Konkurrenten Ahmed Shafik, den letzten Ministerpräsidenten unter Husni Mubarak. Aber mit gerade einmal 51 zu 49 Prozent der Stimmen, die Mursi sich selbst anerkannte, fiel dieser Erfolg mehr als nur bescheiden aus.

Doch als Mursi seine Anhänger bereits zur Siegesfeier auf den Tahrirplatz bestellte, reklamierte auch Shafik den entscheidenden Prozentpunkt für sich. Es sei ein „Akt der Piraterie, den Sieg mit falschen Zahlen für sich zu beanspruchen“, so der Nationalliberale.

Daß den beiden Kandidaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen bevorstünde, stand außer Frage. Gerade das Gros der liberalen Ägypter fühlte sich in der Frage nach einem islamistischen Präsidenten und einem Mubarak-Getreuen zwischen den Stühlen. Zwar sah man in Morsi einen gelungenen Abschluß der Revolution, jedoch auch die Gefahr der Transformation Ägyptens zu einem radikalreligiösen Staat. Bei Shafik wiederum wußte man um konstante säkulare Politik, jedoch auch um dessen Nähe zum Militär, zum Geheimdienst sowie zur Mubarak-Herrschaft.

So blieb noch am Wahlabend zwischen Asswan und Alexandria kein Handy leise. „Wählt Shafik!“ hieß es in Ketten-SMS semistaatlicher Telekommunikationsunternehmen, „Deine Stimme für Mursi!“ in jenen der Konkurrenz. „Vergeßt nicht die Gefallenen!“ verkündeten auch die Liberalen, deren Kandidaten den Einzug in die entscheidende Runde zur Präsidentschaftswahl nur knapp verpaßt hatten. Doch an den Urnen blieb es ruhig.

Viele Liberale, aber auch unzählige Anhänger radikaler Salafisten blieben den Wahlkabinen fern. Andere, die sich trotz drückender Hitze nach draußen wagten, wählten ungültig, stahlen die Stifte aus den Kabinen. „Manche“, so die Tageszeitung al-Masri al-Youm, „zeigten sich sogar von ihrer lustigen Seite und wählten Batman“.

Es steht einiges auf dem Spiel, nicht nur, was die zukünftige Ausrichtung des Landes betrifft. Die Revolution vom Februar 2011 traf insbesondere die ägyptische Wirtschaft bis ins Mark, von welcher das Militär mit bis zu 30 Prozent der größeren Unternehmen im Besitz als Hauptanteilseigner gilt. Um dies auch nach der Machtübernahme durch eine zivile Regierung zu sichern, drückte der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF) dessen Wunschkandidaten Ahmed Shafik durch, löste das im Januar gewählte Nationalparlament, in dem die Muslimbruderpartei FJP sowie die salafistischen al-Nour eine Zweidrittelmehrheit stellten, auf und limitierte die Einflußmöglichkeiten des Präsidenten auf die Armee. Ägyptens Militär, so Analysten, würde somit de facto zu einem Staat im Staate werden. Selbst der Einsatz im Inneren, die Ernennung hochrangiger Offiziere sowie die Auflösung des zivilen Parlamentes oblägen so nicht mehr dem Präsidenten, sondern nur noch dem SCAF sowie dessen Kommandanten, dem ehemaligen Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi. Der sich bereits freuen darf, denn mit seinem Coup d‘État bewies er einmal mehr, daß es vollkommen gleich ist, wer von den beiden Kandidaten letztlich Präsident ist. „Die Revolution selbst“, so ein resignierter Kommentator auf Twitter, ist „erst abgeschlossen, wenn SCAF dies befiehlt.“

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