© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/12 15. Juni 2012

O Heimat, wie bist du so schön
Aus luftiger Höhe: Der Dokumentarfilm „Deutschland von oben“ zeigt beeindruckende Bilder, wie man sie so noch nicht gesehen hat
Ellen Kositza

Profis haben diesen Film gemacht, von den erstklassigen Bildern bis zur PR-Arbeit. Eckhard Fuhr mochte in der Welt glatt „den patriotischen Liebestod sterben nach diesem Bilderrausch“; allenthalben wird geschwärmt über „Deutschland von oben“. Der Film von Freddie Röckenhaus und Petra Höfer, auf Grundlage der gleichnamigen Terra-X-Fernsehreihe des ZDF für die große Leinwand adaptiert, kam professionellerweise zum EM-Beginn in die Kinos, zu einem Zeitpunkt also, wo das potentielle Publikum üblicherweise vaterländisch gestimmt ist. Eine Kinoseite im Internet zeigt ein Thermometer an, von dem man ablesen darf, wie groß der Andrang an der Kasse wohl sein wird. Hier steht es auf „heiß“. Drum sind wir pünktlich, und auf dem Hinweg soll jedes der drei Mädchen drei deutsche Lieblingsorte nennen, die es zu sehen hofft.

Im Kinosaal sind schließlich außer uns noch ein älteres Paar, sie nehmen direkt hinter uns Platz. Ein Bilderrausch, ja, das ist es, 112 atemberaubende Minuten. Für diesen technisch durch Peter Thompsons Hubschrauberkamera perfektionierten Dokumentarfilm gilt, was für sein Objekt – Deutschland eben – gilt: Man kann es so oder so bewerten, grantelnd oder euphorisch; langweilig jedenfalls wird es nie. Es ist ein aufregendes Land.

Der Grantler mag sich vor allem die Ohren zuhalten. Die Musik (komponiert von Boris Salchow), die all diese ergreifenden Blicke aus der Vogelperspektive untermalt, ist zwar in der Hand von Könnern, es spielt die Neue Philharmonie Westfalen. Doch hätte sie besser geschwiegen! Der genretypische Streicherteppich ist noch erträglich, aber des weiteren wähnt man sich emotional aufs gröbste manipuliert. Xylophon und Klavier, klar, untermalen den Wasserfall, gefühlige Gitarremusik, gelegentlich verstärkt durch verliebtes Frauensummen, den Galopp der Dülmener Wildpferde. Der dunkle Wald wird durch Cellibrausen illustriert, und wo es hochromantisch wird, zupft man pizzicato. Schwer erträglicher Softrock mit englischem Männergesang wird mit heiteren Sommerbildern verknüpft, und martialische Technoklänge sollen die Wagnisatmosphäre bei Fallschirmsprüngen und Düsenjetflügen betonen.

Wir sehen Dutzende Männer als Helden agieren, als tollkühne Segelflieger („eine deutsche Erfindung“), als Hasardeure, die sich per Fallschirm von einem Frankfurter Hochhaus stürzen, als Stahlkocher, als Steinbockwächter auf den höchsten Gipfeln. Mag sein, daß jemand aus der Filmmannschaft zu bedenken gab, der Streifen müsse auch den weiblichen Geschmack bedienen – und darum hat man eben weite Strecken voller Tieraufnahmen eingefügt; immer wieder kommen die Kegelrobben vor Helgoland, die Singschwäne, Seeadler und Störche zum Einsatz. Hübsch und rührend ist das durchaus.

Und noch ein Aber: Nur einer von zwölf Lieblingsortwünschen geht in Erfüllung, das Elbsandsteingebirge. „Kann doch nicht wahr sein, daß sie tatsächlich die Saale bei Saaleck vergessen!“ schimpft eines der Mädchen, und eine andere : „… oder den Kyffhäuser! Prora!“ Das Paar in der hinteren Reihe murmelt: „Westblick, nur Westblick, die haben den Osten einfach nicht im Visier!“

Tatsächlich gibt es in 112 Minuten nur einen längeren Blick auf Berlin, kurz die Wartburg, Dresden, die Lausitz und – schwer beeindruckend – den Hainich, ganz knapp die Altmark und ein Vogelrevier in Brandenburg. Geschätzte 85 Minuten widmet man sich Westdeutschland, und auch da hätte man gern auf die eine oder andere niedliche Robben- und Steinbockaufnahme verzichtet und wäre statt dessen lieber um das Hermannsdenkmal gekreist, die Externsteine oder die Saarschleife. Schwerpunkte der Luftaufnahmen bilden Hamburg und München, in Frankfurt fliegt man über das – unerwähnt – längst abgerissene Technische Rathaus; landschaftlich stehen Wattenmeer, Elbtalaue und Berchtesgardener Land deutlich im Vordergrund. Moscheen werden nicht überflogen.

Aber gut: Denken wir uns den musikalischen Gebetsteppich beiseite, schweigen wir von geographischer Einseitigkeit. Dann ist „Deutschland von oben“ zum Schwelgen schön und ein großartiges Dokument. „Die Leute wissen gar nicht, daß sie im Paradies wohnen“, sagte Regisseur Röckenhaus im Deutschlandfunk und schwärmte für dieses grüne, vielseitige und „erschütternd schöne“ Land, für die „große Energie“, die zutage tritt, für die Ästhetik der Industrielandschaften im Ruhrpott oder der sächsischen Tagebaugruben.

Ja, dieser Blick teilt sich durchaus mit. Schwarzrotgolden glüht die Lava, die von der Stahlproduktion übrigbleibt; sie glüht so heiß, daß sie beständig durch Wasser aus überdimensionierten Schläuchen gekühlt werden muß. Hinreißende Aufnahmen!

Nachdem uns die erhebenden Stadtkerne von Bamberg und Regensburg vorgeführt wurden, kehren wir abermals nach Hamburg zurück. An dieser Stadt statuiert der Film ein Exempel. Deutschland war ja noch viel schöner! In animierten Darstellungen wird vorgeführt, wie die alliierten Bomber (Operation „Gomorrha“) im Hochsommer 1943 die prächtige Metropole verheerten. Wir sehen in raschen Schnitten Wechselbilder: so sah dieser Straßenzug davor aus, so – skelettiert nämlich – danach. Anhand anderer Städte wird hernach gezeigt, welch grandioser Meister des Aufbaus dieses Volk ist. Aus der Brache zur Blüte! Das berührt, wie dieser Film den Zuschauer im ganzen tief bewegt zurückläßt.

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