© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Good Night, Mary
Britischer Justizirrtum im Fall Julian Assange
Ronald Gläser

Julian Assange hat sich wohl vorher kaum ausgemalt, was alles gegen ihn ins Feld geführt werden würde: Das FBI hat, wie es aussieht, 2011 einen Computerhacker auf ihn angesetzt. Der Mann – vermutlich ein Polizeispitzel – soll Assange Informationen gegen Geld angeboten haben, was der Wikileaks-Chef abgelehnt hat. Gut für ihn. Hätte er das Geschäft gemacht, hätten ihn die Amerikaner wegen Spionage dingfest machen können.

Nächster Versuch: der haltlos wirkende Vorwurf der sexuellen Belästigung. Assange sitzt deswegen jetzt schon seit anderthalb Jahren in England fest. Ohne Anklage, aber mit Hausarrest. Der oberste britische Gerichtshof hat in der Vorwoche seine Auslieferung nach Schweden angeordnet.

Das Urteil der Richter des Obersten Gerichtshofs von England ist ein ausgemachter Justizskandal. Darum ging es: Assange wurde mit einem Europäischen Haftbefehl gesucht. Diesen hatte ein schwedischer Staatsanwalt ausgestellt. Vor Gericht ging es um die Frage, ob dies als Voraussetzung für einen Europäischen Haftbefehl überhaupt ausreicht, denn in dem britischen Gesetz dazu steht, eine „judicial authority“ (engl. Justizautorität) müsse diesen ausstellen, so das britische Gesetz. Ein Staatsanwalt ist keine „judicial authority“, nur ein Gericht wird so bezeichnet.

Die britischen Richter griffen zu einem Trick, der noch Rechtsgeschichte schreiben könnte: Weil der britische Gesetzestext eindeutig ist, haben sie den französischen Text des europäischen Rahmenbeschlusses herangezogen. Dort ist von „autorité judiciaire“ die Rede. Und dieser Begriff ist so vage, daß er auch einen Staatsanwalt einschließen könnte.

Wenn Schule macht, daß Richter sich bei der Interpretation von Gesetzen auf fremde Sprachen beziehen, dann „Gute Nacht, Marie“. Es werden sich „Sprachexperten“ finden, die dank der Kenntnis von Kisuaheli oder Paschtunisch unsere Grundrechte abschaffen und Dinge festlegen, die noch nicht einmal in unseren schlimmsten Alpträumen vorgekommen sind.

Die Begrüdung der Richter lautete übrigens so: Es wäre „destruktiv für die internationale Zusammenarbeit“, wenn die Richter die Auslieferung verhinderten, nur weil nach britischem Recht die Justiz unparteiisch zu sein hat. Damit ist eigentlich alles gesagt: Die EU und ihre Gesetze gehen über alles, nationale Gesetze müssen zurückstehen.

Für Euroskeptiker läßt dieses Urteil und seine Begründung nur einen Schluß zu: Die Abschiebung von Assange nach Schweden ist auf das schärfste anzuprangern.

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