© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Pankraz,
Josef Braml und der ungebärdige Patient

Der amerikanische Patient“ heißt ein Buch von Josef Braml, das jetzt im Münchner Siedler Verlag erschienen ist (224 Seiten, 19,99 Euro). Braml (44), Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Chefredakteur von deren „Jahrbuch“, ist ein mit vielen Wassern gewaschener Transatlantiker und „Think Tank“-Teilnehmer. Und sein Buch ist ein wahrer Horrotrip. Drastischer, bedrohlicher hat man noch keine Analyse der gegenwärtigen US-Misere gelesen.

Für Braml sind die USA zur Zeit nicht nur ein schlichter Patient, der brav in seinem Bett liegt, Medizinen schluckt und sich willig an den Tropf anschließen läßt, sondern das, was die Ärzte „Panikpatient“ oder auch „Krawallpatient“ nennen. Er mault und zappelt dauernd herum, beschimpft die Krankenschwestern, verweigert Einläufe oder Blutabnahmen, gefährdet im schlimmsten Fall den ganzen Krankenhausbetrieb. Der Untertitel von Bramls Buch lautet bezeichnenderweise: „Was der drohende Kollaps der USA für die Welt bedeutet“.

Im einzelnen wird alles aufgeführt, was man auch schon aus anderen Publikationen erfahren konnte und was jeder Augenschein vor Ort nur allzu deutlich bestätigt: Rasant wachsende Arbeitslosigkeit in fast allen Branchen, schier groteske Vergammelung einstmals berühmter Industriestandorte, Bruchbuden allenthalben, schärfste soziale Ungleichheit, eine wahrhaft irre Staatsverschuldung. Das Neue bei Braml ist der fast überscharfe Röntgenblick, mit dem er diese Phänomene durchleuchtet und ihre nationalen wie internationalen Folgen bedenkt. So sieht illusionsloses Schreiben aus.

Um so unerwarteter dann ein knappes Schlußwort, in dem das Buch gleichsam zurückgenommen wird. Sicherlich, heißt es da plötzlich, der Kollaps drohe, doch wo Gefahr sei, wachse eben auch das Rettende, die „Selbstheilungskräfte“. Wo diese Selbstheilungskräfte herkommen sollen, sagt der Autor freilich nicht. Es klingt ein bißchen nach Prinzip Hoffnung: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Möglich ist auch, daß Braml seine privilegierte Stellung in den diversen „Think Tanks“ hüben und drüben nicht gefährden will und deshalb möglichen mächtigen Übelnehmern einen Beruhigungsknochen hinwirft.

Pankraz ist weder mächtig noch ein Übelnehmer, und so legt er das ominöse Schlußwort einfach beiseite und wendet sich ganz Bramls Titelthema zu: Was bedeutet der drohende US-Kollaps für die übrige Welt? Wer unwillig ist, seine inneren Strukturprobleme zu lösen, der wird aggressiv nach außen: das gilt für Einzelpatienten wie für ganze Staaten. Auswärtige Aggressionen (bis hin zum offenen Krieg) kurbeln die Wirtschaft an, lenken die öffentliche Aufmerksamkeit von inneren Problemen ab.

Hinzu kommt im aktuellen Fall der USA, wie Braml ausführlich darlegt, ein weiterer Grund für aggressive auswärtige Politik, nämlich der „Kampf um die Ressourcen“, vor allem um Erdöl. Washington habe, so Braml, seine Energiepolitik, einigen Windradparks und Atomkraftwerken zum Trotz, fast gänzlich auf die Nutzung fossiler Brennstoffe abgestellt, und das verleihe seiner Außenpolitik mittlerweile einen beinahe kolonialistischen Zug, der geradezu an die Gewaltpolitik der alten Kolonialmächte England und Frankreich erinnere.

„Sie predigen Freiheit und meinen Kattun“, dichtete einst Rabindranath Tagore in Hinblick auf das Kolonialregime der Engländer in Indien. Parallel dazu könnte man in bezug auf die heutige US-Globalpolitik sagen: Sie predigen Demokratie und meinen Erdöl. Tag für Tag werden wir von ihren Medien mit Berichten über heroische Kämpfe in Arabien oder Fernost für Freiheit und Demokratie überschüttet – und in Wahrheit geht es einzig um den Zugriff „westlicher“ Großfirmen auf lokale Erdölschätze.

Kampf um die Ressourcen, Ablenkung von inneren Schwierigkeiten, schließlich auch noch teure imperiale Gesten im großen Schaukampf mit China – all das also prägt zunehmend die Außenpolitik der USA, macht sie aggressiv und schwer berechenbar. Vor allem die traditionellen europäischen Verbündeten, nicht zuletzt Deutschland, bekommen das zu spüren. Einerseits sehen sie sich deutlich aus dem Fokus der amerikanischen Aufmerksamkeit gerückt, andererseits werden sie von Wa-shington massiv zur Kasse gebeten und unter Druck gesetzt.

Im Namen „gemeinsamer Ideale“ sollen sie sich für Interessen engagieren, die gar nicht die ihren sind, ja, die oft sogar eindeutig ihren eigenen Interessen widersprechen und auf eine Art Zinsknechtschaft hinauslaufen. Sie sollen blindlings Hilfssheriff spielen für einen Sheriff, der gar keiner mehr ist und auch keiner mehr werden wird. Und sie sollen endlich nach amerikanischer Manier die Notenpresse anwerfen, Geld und noch einmal Geld drucken und damit auch bei sich selbst jenen riesigen, absurden Schuldenberg anhäufen, der Amerika gerade an den Rand des Kollapses führt.

Gern würde man bei Braml etwas darüber lesen, was unsererseits angesichts solcher gefährlichen Zumutungen zu tun sei, aber da schweigt leider des Sängers Höflichkeit. Einen einzigen, eher beiläufiger Ratschlag gibt es: Die USA sollten sich ein Vorbild an der „deutschen Energiewende“ nehmen! Zur Rettung des „Westens“, will sagen: der legendären „Atlantikbrücke“ aus der schönen Zeit des Kalten Krieges, sei es doch das Beste, eine „transatlantische Umwelt- und Energiegemeinschaft“ aufzubauen. Das würde auch der US-Wirtschaft aufhelfen.

Nun, von solcher Umwelt- und Energiegemeinschaft wird sich Wall Street & Co. wohl zu allerletzt überzeugen lassen. Das bringt doch nichts ein! Bis auf weiteres wird die deutsche Außenpolitik also die größte Mühe haben, überhaupt eine Art Transatlantikbrücke aufrechtzuerhalten, wenn schon keine Gemeinschaft, so wenigstens eine faire Partnerschaft. Dergleichen erfordert höchste Qualität des Auswärtigen Dienstes, Selbstbewußtsein gepaart mit Realismus und höchster Dezenz des Umgangs. Ob Guido Westerwelle und Josef Braml die richtigen Kräfte dafür sind?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen