© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Verschwörung gegen den Papst
„Vatileaks“: Gezielte Offenbarungen als Teil eines ausufernden Machtkampfes
Paola Bernardi

Zum ersten Mal seit vielen Tagen wirkte der Papst entspannt und lächelnd bei dem 7. Internationalen Katholischen Weltfamilientreffen, das am Wochenende in Mailand stattfand. Zehntausende waren gekommen und umjubelten den Pontifex. Für kurze Zeit schien der Vatikan mit seinen derzeit summenden Gerüchten und Verdächtigungen so fern. Doch nun ist die Wirklichkeit wieder präsent.

Der Schock sitzt tief. Ausgerechnet der Vatikan sorgt für immer neue Schlagzeilen. Die sprichwörtliche Verschwiegenheit wurde durch gezielte Offenbarungen aus dem Apostolischen Palast zum Zweck eines Machtkampfes innerhalb des Kirchenstaates unterlaufen.

So sind seit Jahresbeginn kontinuierlich Dokumente und Briefe, die als geheim eingestuft waren, im Fernsehen und in Zeitungen publik gemacht worden. Als nun noch das Buch „Sua Santità“ (Seine Heiligkeit) mit dem Untertitel „Die Geheimpapiere von Benedikt XVI.“ erschien, handelten die vatikanischen Behörden.

Ein Maulwurf hatte dem italienischen Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi ein Dossier von Dokumenten zugespielt, die nicht nur Einblicke in den Regierungsalltag des Papstes ermöglichen, sondern auch interne Konflikte und diplomatische Hintergründe ausleuchten. Da zeigen Nuntiusberichte deutlich, wie das Weltgeschehen in das Leben der Kirche eingreift, wie diese darauf regieren muß.

So liest man, wie sich der Heilige Vater über Kanzlerin Angela Merkel beschwerte, als es um die „angeblich unklare Haltung des Vatikans“ in der Affäre der Piusbrüder und der Zurücknahme der Exkommunikation eines Holocaust-Leugners ging. Die Reaktion des Nuntius von Berlin, Jean-Paul Pèrisset, gegenüber „dieser Meinungsäußerung von Frau Merkel“ fiel dem Papst zu schwach aus. In einer Notiz schrieb er: „In Wirklichkeit wäre ein klares Wort des Protests gegen diese Einmischung in innere Angelegenheiten der Kirche nötig gewesen.“

Wegen Diebstahls und Hehlerei wurden rechtliche Schritte inner- und außerhalb des Vatikans eingeleitet. Die Untersuchungen führten schnell zum ersten Erfolg. Der Kreis der Vertrauten um den Pontifex ist eng: Seit über einer Woche sitzt der 46jährige Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, wegen des illegalen Besitzes von vertraulichen Dokumenten in einer Sicherheitskammer des Vatikans. Als die Beamten seine Wohnung durchsuchten, fanden sie Unterlagen, die er aus dem Appartement des Papstes beiseite geschafft hatte.

Das Entsetzen über diesen Vertrauensbruch sitzt noch immer tief. Ausgerechnet der Kammerdiener und Butler des Papstes, liebevoll von allen „Paoletto“ genannt, er, der seit sechs Jahren vom frühen Morgen bis zum späten Abend Benedikt XVI. diente, der im Papamobil vorne saß, wurde überführt. Er war derjenige, der die Dokumente für „Vatileaks“ geliefert hatte.

Doch wer hat diesen Spion an die Seite des Papstes plaziert, wer steckt dahinter? Das sind Fragen, die nicht nur den Vatikan betreffen.Tatsache ist, daß nach der Berufung des Nichtdiplomaten Kardinal Tarcisio Bertone zum Staatssekretär des Kirchenstaates die „alte Garde“ um den früheren Staatssekretär Kardinal Angelo Sodano sich brüskiert fühlte. Sie hatte ihren Unmut darüber auch nie verhehlt. Kardinal Sodano stammt im Gegensatz zu seinem Nachfolger aus der renommierten Diplomatischen Akademie an der Piazza Minerva. Kardinal Bertone ist hingegen Salesianer Don Boscos – und er umgab sich bevorzugt mit Salesianern, und zwar auf Posten, die traditionell in der Hand der vatikanischen Diplomatie lagen.

Auch der neue Regierungsstil von Kardinal Bertone, „Weniger Diplomatie – mehr Evangelium“, mißfiel vielen. Als noch gravierende Führungsfehler in den ersten Jahren hinzukamen, nahm der Machtkampf an Schärfe zu. Vor allem die italienischen Purpurträger wollen sich rechtzeitig in Stellung bringen, bevor das derzeitige Pontifikat endet. Nach zwei „ausländischen“ Päpsten wünscht man sich wieder einen Italiener an der Spitze des Vatikans.

Im Zusammenhang mit diesen internen Machtspielen ist auch die fristlose Entlassung des 67jährigen Präsidenten der Vatikanbank IOR, Ettore Gotti Tedeschi, zu sehen. Er schweigt, „um dem Papst nicht zu schaden“, so der Bankier.

Die „Vatileaks“ haben nur ein Ziel: mittels anonymer Schreiben den Kardinalstaatssekretär Bertone sowie neuerdings auch Papstsekretär Georg Gänswein in schlechtes Licht zu setzen, um letztlich damit Papst Benedikt XVI. zu diskreditieren, der beide einsetzte.

Benedikt indessen zeigt sich standhaft. „Die Ereignisse, die meine Mitarbeiter und die Kurie betreffen, haben mein Herz mit Traurigkeit erfüllt.“ Dennoch wolle er sein Vertrauen und seine Ermutigung gegenüber seinen engsten Mitarbeitern „erneuern“, so der Papst. Er unterband damit aufgekommene Spekulationen über eine schnelle Säuberungsaktion.

Früher oder später wird der Papst aber die Konsequenzen ziehen, im Vatikan denkt man bekanntlich in längeren Zeitspannen als in der weltlichen Politik.

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