© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Bundesgerichtshof rügt Ermittler
Rechtsextremismus: Bei der Aufklärung der Mordserie der „Zwickauer Terrorzelle“ wächst der Druck auf die Bundesanwaltschaft
Marcus Schmidt

Die Aufarbeitung der mutmaßlich von der sogenannten Zwickauer Terrorzelle begangenen Mordserie an neun Ausländern und einer Polizistin geht in die entscheidende Phase. Noch im Sommer soll Berichten zufolge Anklage gegen sechs Verdächtige erhoben werden. Zugleich mußten die Ermittler in den vergangenen Tagen spektakuläre Rückschläge hinnehmen, während gleichzeitig neue Details auftauchten, die Zweifel an den bisher bekanntgewordenen Zusammenhängen wecken könnten.

Am Dienstag vergangener Woche hob die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Haftbefehle gegen die beiden mutmaßlichen Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) Carsten S. und Matthias D. auf. Vor allem die Freilassung von Carsten S. ist bemerkenswert, da er laut Bundesanwaltschaft nach wie vor „dringend verdächtig“ ist, gemeinsam mit dem weiter inhaftierten Ralf Wohlleben die Tatwaffe für die Mordserie besorgt zu haben. Da S. ausgesagt habe und, da er zur Tatzeit 19 Jahre alt war, gegen ihn nach dem milderen Jugendstrafrecht verhandelt werden dürfte, bestehe keine Fluchtgefahr mehr. Im Fall von Matthias D., dem vorgeworfen wird, den Terroristen zwei Wohnungen zur Verfügung gestellt zu haben, bezweifeln die Bundesanwälte, daß die „vorliegenden Verdachtsmomente die Fortdauer der Untersuchungshaft tragen“.

Mit dieser Neubewertung reagieren die Ermittler auf einen Beschluß des Bundesgerichtshofes. Dieser hatte in der Woche zuvor entschieden, Holger G., der am 13. November 2011 festgenommen worden war, aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Terrorzelle 2001 eine Waffe besorgt und damit Beihilfe zum Mord in sechs Fällen sowie zum versuchten Mord und zum besonders schweren Raub geleistet zu haben. Diesen Vorwurf sahen die Richter des Bundesgerichtshofes bei einer Haftprüfung nicht als tragfähig an. Zur Begründung hieß es unter anderem, es sei „nach gegenwärtigem Ermittlungsstand“ nicht sicher, ob die von G. übergebene Pistole von den Mitgliedern des NSU bei den ihnen zugeschriebenen Morden und Überfällen verwendet wurde und er die Taten „objektiv in irgendeiner Weise erleichtert oder gefördert“ habe. Eine Entscheidung, die als deutliche Kritik der Richter an den Ermittlungsergebnissen gelesen werden kann und von der Bundesanwaltschaft wohl auch so verstanden wurde.

Damit sind derzeit neben Beate Zschäpe, die von den Ermittlern neben den getöteten Mundlos und Böhnhardt zum harten Kern des NSU gezählt wird, mit Andre E. und Ralf Wohlleben noch zwei Verdächtige in Haft, denen vorgeworfen wird, die Terrorzelle zumindest zeitweise unterstützt zu haben. Laut Süddeutscher Zeitung ist mit einer baldigen Anklageerhebung zu rechnen, da der Bundesgerichtshof in einem Beschluß zur Fortdauer der Haft von Zschäpe zur Eile gemahnt habe. Für die Aufklärung des „historischen Geschehens in Gänze“ sei bei Ermittlungen in Haftsachen keine Zeit, rügten demnach die Richter.

Für Aufsehen und Verwirrung sorgte Anfang vergangener Woche die Meldung, eine Funkzellenabfrage habe ergeben, aus dem sächsischen Innenministerium sei am 4. November 2011, dem Tag des Todes von Mundlos und Böhnhardt, mehrfach versucht worden, telefonisch Kontakt zu Beate Zschäpe aufzunehmen. War den Sicherheitsbehörden zu diesem Zeitpunkt also die Identität der untergetauchten Zschäpe bekannt? Arbeitete sie gar mit den Behörden zusammen?

Für die Tatsache, daß die Mobiltelefone, mit denen die Kontaktaufnahme zu Zschäpe erfolgte, auf das sächsische Innenministerium zugelassen waren, gab Ministeriumssprecher Frank Wend eine einfache Erklärung: Es habe sich um Handys der Zwickauer Polizei gehandelt, die wie alle dienstlichen Geräte auf das Ministerium registriert seien. Die Polizei habe die Telefonnummer von einer Nachbarin der Wohnung erhalten, die Zschäpe in Brand gesetzt hatte. Eine Erklärung, die Skeptiker nicht gänzlich überzeugen dürfte und weiter reichlich Stoff für Spekulationen bietet.

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