© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

In den Fängen der Algorithmen
Der US-Aktivist Eli Pariser beklagt die Entmündigung des Nutzers durch spezielle Filterprogramme in Internet-Suchmaschinen
Martin Böcker

Das Internet ist eines dieser mächtigen Werkzeuge, die für Gutes, aber auch Schlechtes gebraucht werden können. Das ist ein Allgemeinplatz. Und noch allgemeiner: Gutes und Schlechtes hängen von Nutzern und Gesetzen ab, quasi Kinderpornographie gegen den freien Informationsaustausch. Dazwischen bleibt reichlich Platz für Banalitäten: Flott gelesene Online-Artikel, Katzenfotos, die schnelle Google-Suche, der Kauf im Netz, Statusmeldungen und Foren-Diskussionen über jedes erdenkliche Thema.

Diese milliardenfach vorhandenen Unwichtigkeiten bekommen ihre ganz eigene Qualität, wenn Online-Anbieter die dabei entstehenden Informationen verwenden, um ihr Angebot auf die Nutzer zuzuschneiden. Die „Personalisierung“ ist für jeden Online-Anbieter eine Chance: Wer zum Beispiel bei Amazon nach Literatur über Rasenpflege sucht, dem wird bei der nächsten Sitzung das große Praxishandbuch für privaten Gartenbau angeboten. Dieses Prinzip versucht den guten alten Buchhändler zu imitieren. Doch während der Verkäufer über seine Kunden nachdenkt, errechnet Amazon seine Vorschläge mit Algorithmen. Und die basieren vielleicht auf Daten, von denen der Kunde gar nicht weiß, daß Amazon sie hat.

Und genau hier beginnt das Problem: Der US-amerikanische „Internet-Aktivist“ Eli Pariser hat in seinem Buch „Filter Bubble – Wie wir im Internet entmündigt werden“ die Gefahren dieses individuellen Zuschnitts beschrieben. Wer zum Beispiel bei Google nach Informationen über Katzenpflege sucht, wird Werbung für dementsprechende Produkte erhalten. Undurchsichtiger wird es, wenn zwei Personen denselben Suchbegriff eingeben. Dann könnte es sein, behauptet Pariser, daß sie unterschiedliche Ergebnisse erhalten – eine Folge der „Personalisierung“. Denn seit dem 4. September 2009 würde das kalifornische Unternehmen bei jedem Besuch der Seite 57 Nutzerinformationen wie Ort, Zeit und Suchbegriffe speichern und für die Antwort auf die Suchanfrage verwenden. Als Beleg für diese Behauptung gibt er zwar nur ein Interview mit einer „vertraulichen Quelle“ an, allerdings klingt es nachvollziehbar, daß Google-Algorithmen mit diesen Informationen herauszufinden versuchen, was einen wohl als nächstes interessieren könnte. So erhält Person A bei seiner Recherche vielleicht wichtige Informationen, die Person B verschwiegen werden – weil Google „glaubt“, sie würden B nicht interessieren.

Und es wäre denkbar, daß auch Nachrichtenportale nur noch die Texte anbieten, die der Nutzer mit einer höheren Wahrscheinlichkeit anklickt, zum Beispiel nur noch Zweitligafußball anstatt der nächsten Nachricht über den ESM. Selbst Fernsehprogramme könnten in Zukunft so individuell zugeschnitten werden. Ein anderer Internet-Riese, Facebook, hält seine Nutzer nach ähnlichen Prinzipien bei der Stange. Wer dort die Statusmeldungen seiner Online-Kontakte mit einem Klick auf das „Gefällt mir“-Symbol prämiert, wird auch in Zukunft die Statusmeldungen dieses Kontaktes zu sehen bekommen. Die Kontakte, dessen Meldungen er nicht dementsprechend markiert, werden ihm schon bald nicht mehr angezeigt. Damit entstünde eine Blase rund um den Konsumenten, in der die Welt nur aus den eigenen Interessen besteht. Wertvolle Zufallsfunde würden den Insassen dieser Blase also nicht mehr erreichen.

Pariser hat sein Buch in einem lockeren, flott zu lesenden Ton geschrieben. Er bietet einen lesenswerten Einblick in die Funktionsweise und Risiken der „Personalisierung“: Man sollte wissen, daß die Nutzung von Angeboten wie Facebook oder Google nicht kostenfrei ist, daß sie mit dem Offenlegen persönlicher Daten bezahlt werden. Etwas gruselig sind seine Hinweise auf einen noch zu erwartenden technischen Fortschritt: Wenn die Datengewinnung über das klassische Internet am heimischen Rechner hinausgeht, zum Beispiel über winzige Chips in verkauften Produkten oder Bewegungsprofile per Smartphone. Und, so vermutet Pariser wahrscheinlich mit Recht, einige Facebook-Nutzer würden selbst ihren Gencode veröffentlichen, wenn sie denn könnten.

Der Autor zeigt sich enttäuscht darüber, daß Menschen sich mehr für Banalitäten vor ihrer eigenen Haustüre interessieren als für Ungerechtigkeiten am anderen Ende des globalen Dorfes und bezeichnet das dann als „Entmündigung“. Damit verschwimmt seine Kritik an Google, Facebook und Co. mit seiner enttäuschten Vision der Weltgemeinschaft via Internet. Er scheint dabei zu übersehen, daß die Menschen nicht nur zu ihrer „Filter Bubble“ gezwungen werden, sondern schlichtweg auch ein Recht darauf haben.

Eli Pariser:            Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden. Carl Hanser Verlag, München 2012, broschiert, 288 Seiten,         19,90 Euro

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