© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Lockerungsübungen
Peinliche Rituale
Karl Heinzen

Horst Pomp, ein in Essen lebender Pensionär, hat Bundespräsident Joachim Gauck in einem Brief den Vorschlag unterbreitet, beim Empfang von Staatsgästen in Zukunft auf militärische Rituale zu verzichten. Sein Vorstoß wird vom deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes auf der Grundlage eines Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 20. Mai 2012 offiziell unterstützt. Nun wird niemand mehr drum herum kommen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

In der Sache liegt Pomp gleich unter mehreren Gesichtspunkten richtig. Zum einen hat Deutschland im 20. Jahrhundert zwei Kriege angezettelt und verloren. Es gibt daher keinen Grund, militärische Traditionen in Ehren zu halten und einen Staatsgast mit ihnen auch noch zu konfrontieren, kaum daß er deutschen Boden betreten hat.

Ehrenformationen in Paradeuniform erscheinen wie eine mißratene Ballettvorführung.

Zum anderen geben Rituale, zu denen sich Soldaten hinreißen lassen, weltweit ein peinliches Bild ab. Ehrenformationen in Paradeuniform mögen vielleicht in archaischen Zeiten, als die Menschen noch keine Individuen waren, Eindruck geschunden haben. Heute jedoch, da vernünftige Bürger ihre demokratischen Gesellschaften sachlich und zweckorientiert gestalten, kann derartiger Mummenschanz nur noch wie eine mißratene Ballettvorführung erscheinen. Zu guter Letzt müssen Soldaten bezahlt werden, auch wenn sie bloß herumstehen oder auf und ab marschieren. Dieses Geld sollte man lieber in Bildung investieren.

Bedenklich ist allerdings, daß Horst Pomp das militärische Begrüßungsritual nicht ersatzlos streichen, sondern bloß durch ein anderes ersetzen will. Eine die Bevölkerung in ihrer Vielfalt repräsentierende Bürgerdelegation könnte, so sein Vorschlag, dem Staatsgast Brot und Salz überreichen. Das Geschenk dürfte zwar nicht ganz zum Ausdruck bringen, welche Produkte für Deutschland typisch sind, doch überfordert es immerhin nicht den Bundeshaushalt. Nennenswert wäre hingegen der finanzielle Aufwand, wenn die Auswahl der Bürgerdelegation demokratischen Grundsätzen gerecht werden soll. Wer sie wirklich repräsentiert, können die Menschen in unserem Land nämlich nur selbst entscheiden. Ohne allgemeine Wahlen zur Bürgerdelegation müßte jeder Staatsgast zudem das Gefühl haben, daß er von Leuten willkommen geheißen wird, die dazu gar nicht die Legitimation besitzen.

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