© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Gefangen im Schuldstolz
Bis ans Ende aller Zeit: Thilo Sarrazins Euro-Kritik und die Last der deutschen Vergangenheit
Erik Lehnert

Das neue Buch Thilo Sarrazins „Europa braucht den Euro nicht“ (JF 22/12) löst zwar die erwarteten negativen Reflexe aus, dennoch will die Skandalmaschine nicht richtig warmlaufen. Vielleicht liegt es daran, daß es bereits unzählige Euro-kritische Bücher gibt, die teilweise wesentlich radikaler als Sarrazin argumentieren. Was Sarrazin fordert, ist im Grunde banal: Der Fortbestand des Euro soll an bestimmte Bedingungen geknüpft werden, weil sonst auch die Geberländer wirtschaftlich in Mitleidenschaft gezogen werden und es dann niemanden mehr gibt, der zahlt. Das ist bislang Deutschland, und es ist wenig verwunderlich, daß Sarrazin, als Deutscher, sich zuerst um die Zukunft des eigenen Landes Gedanken macht.

Nun hat Sarrazin, und da roch es kurz nach Großdebatte, einen Zusammenhang zwischen Einführung des Euro und der deutschen Vergangenheit hergestellt. Er kommt in seinem Buch mehrfach darauf zu sprechen. Gleich einleitend weist Sarrazin darauf hin, daß man sich bei der Einführung des Euro nicht von realistischen Erwägungen, sondern Visionen habe leiten lassen. Er bezeichnet Helmut Kohl als den „Moses des deutschen Volkes auf dem Weg zu seiner europäischen Bestimmung“. Darüber allerdings, daß die Europäische Währungsunion ganz konkret der Preis für die deutsche Wiedervereinigung Restdeutschlands war, findet sich nichts.

Sarrazin bezieht sich aber auf eine Rede von Helmut Schmidt, in der dieser einen Bogen von der „deutschen Schuld am Holocaust (…) bis zur gemeinsamen Währung und zur Notwendigkeit deutscher Mithaftung für die Schulden der Partner-Länder“ geschlagen hatte. Er kritisiert an dieser Feststellung lediglich die Vermischung der Ebenen, durch die in ökonomischen Fragen moralisch argumentiert werde. Sarrazin plädiert dafür, die Ebenen zu trennen und zuerst den ökonomischen Nutzen, dann die politischen Ziele und schließlich die vergangenheitspolitische Ebene zu bewerten: „Soweit die deutsche Politik meint, aufgrund politischer Erwägungen wegen der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust besondere Opfer im Sinne einer ‘europäischen Solidarität’ bringen zu müssen, sollte auch dies offen diskutiert und klar ausgewiesen werden.“

Dieser Sachverhalt ist schon mehrfach thematisiert worden. Die Folgenlosigkeit dieser Diskussionen liegt darin begründet, daß sich die politische Klasse hier einig ist, es gegen diesen Zusammenhang keine Opposition gibt. Im Dezember 2010 wies Günter Verheugen im Fernsehen ganz offen darauf hin als er seinen Kontrahenten, dem bekannten Euro-Kritiker Joachim Starbatty, erwiderte: „Dieses ganze Projekt europäische Einheit ist wegen Deutschland notwendig geworden.“ Es sei immer darum gegangen, „Deutschland einzubinden, damit es nicht zur Gefahr wird für andere“. Wenn irgendjemand glaube, daß das 65 Jahre nach Kriegsende keine Rolle mehr spiele, sei man, so Verheugen, „vollkommen schief gewickelt“. Es spiele „jeden Tag noch eine Rolle“.

Warum es bei Verheugen und Schmidt keinen Aufschrei gab, liegt auf der Hand: Beide sehen in diesem Zusammenhang eine unhintergehbare Voraussetzung der deutschen Europapolitik, ein Naturgesetz, das man nicht ändern kann und dem man folgen sollte, weil es sonst Konsequenzen gibt. Mit anderen Worten: Der Rest Europas würde sich ein Abweichen von diesem Nexus nicht gefallen lassen. Weil Sarrazin diese Dinge auf den Prüfstand heben will und Deutschlands Zukunftsfähigkeit dadurch gefährdet sieht, reagiert unter anderem Michel Friedman in der gewohnten Weise mit Verdächtigungen: „Wird hier sogar auf ein zweites Versailles angespielt – Deutschland blutet aus, weil die Europäer sich immer noch für den Zweiten Weltkrieg und seinen Urheber rächen wollen?“

Sarrazin ist nicht der erste, dem die negativen Konsequenzen der deutschen Schuldgefangenschaft auffallen. Er versucht, sich abzusichern, indem er sich auf den Soziologen Erich Weede, den Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, und den Ökonomen Hans Willgerodt bezieht. Sie alle haben auf den Zusammenhang zwischen deutscher Schuld und Euro-Einführung und der daraus folgenden Erpreßbarkeit hingewiesen. Sarrazin setzt das nur fort, wenn er die Werbung für Eurobonds, wie sie insbesondere von den Grünen, der SPD und der Linkspartei betrieben werde, von „jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld in europäische Hände gelegt haben“, bestimmt sieht.

Hier wird allerdings deutlich, daß sich Sarrazin letztendlich nicht über die Tragweite des Phänomens im klaren ist. Es ist ja nicht so, daß es lediglich eines guten Willen bedürfte und dann würde der deutsche Politiker nicht mehr im Sinne des Schuldstolzes entscheiden, sondern nationale oder ökonomische Interessen in den Vordergrund stellen. Die deutsche Schuld ist nach offizieller Lesart auch nichts, was sich in Raum und Zeit verorten und damit auch abgelten ließe. Sarrazins SPD-Genosse Gert Weisskirchen hat es auf den Punkt gebracht, als er im Bundestag sagte, „daß bis zum Ende aller Zeit, daß bis an das Ende aller Tage der Name Holocaust in den Namen Deutschlands eingebrannt bleibt“. Daß es sich dabei nicht um die Einzelmeinung eines Hinterbänklers handelt, wird aus Joschka Fischer Feststellung deutlich, daß nur Auschwitz das Fundament der Berliner Republik sein könne.

Sarrazins Schwäche liegt in der Naivität dem gegenüber, was er als „deutschen Nachkriegs-Denkstil“ bezeichnet, „wonach nur ein letztendliches Aufgehen Deutschlands in Europa Deutschland vor sich selbst und die Welt vor Deutschland retten könne“. Da die deutsche Teilung einmal als die gerechte Strafe galt, mußte nach deren Ende eine neue, überzeitliche Dimension, die ewige Schuld, erdacht werden. Da diese mit irdischen Mitteln niemals abgetragen werden kann, bleibt Deutschland erpreßbar. Die deutsche Akzeptanz dieser Voraussetzung hat pathologische Züge, die sich nicht mehr mit einer Willens-entscheidung heilen lassen. In dieser deutschen Krankheit liegt der eigentliche Schlüssel für die Probleme, die Sarrazin thematisiert.

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