© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Das Band ist zerschnitten?
Deutsche Burschenschaft: Flügelkämpfe und ein heftiger Personalstreit lähmen den traditionsreichen Studentenverband
Christian Vollradt

Vielleicht ist es ganz gut, wenn es jetzt mal ein reinigendes Gewitter gibt“, seufzt Michael Schmidt, Pressesprecher der Deutschen Burschenschaft (DB) mit Blick auf den dieser Tage stattfindenden Burschentag in Eisenach. Wenn sich die Mitglieder – Studenten und Ehemalige, die sogenannten „Alten Herren“ – der etwa 120 Verbindungen zum wichtigsten Termin des Jahres am Fuße der Wartburg versammeln, geht es zuvörderst um interne Streitereien, soviel ist sicher.

Vor allem die Mitte April hochgekochte Affäre um den Chefredakteur der Burschenschaftlichen Blätter, Norbert Weidner, hat die Mißstimmung angeheizt. Dem für das Verbandsmagazin verantwortlichen Funktionär wird vorgeworfen, er habe in einem Leserbrief an die Mitgliedszeitung seiner Bonner Studentenverbindung den Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer in unangemessener und historisch zweifelhafter Form als Landesverräter bezeichnet und somit verunglimpft (JF 17/12 und JF 18/12). Ähnlich wie im letzten Jahr, als man sich um die Aufnahmekriterien stritt und ein Antrag zur kompromißlosen Befolgung des „Abstammungsprinzips“, in den Medien polemisch als „Arierparagraph“ bezeichnet, herumgeisterte (JF 24/11), ist der Verband für die veröffentlichte Meinung wieder festgefahren im „Nazi-Dreck“.

Das wiederum stinkt zahlreichen Burschenschaftern so gewaltig, daß sie sich in einem Aufruf öffentlich Luft verschafft haben. 600 Studenten und Alte Herren sowie ganze Burschenschaften haben – so die Angaben der Initiatoren – die Rücktrittsforderung gegen Weidner unterschrieben; in einem Initiativantrag soll die Personalie auf die Tagesordnung in Eisenach kommen. „Die Empörung hat nichts mit einer Auseinandersetzung eines eher liberalen gegen ein rechtes Lager zu tun. Auch geht es hier nicht um eine Frage der Meinungsfreiheit. Die Empörung richtet sich vor allem dagegen, daß die DB (...) abermals in eine heillose Debatte über NS-Themen verwickelt wurde“, obwohl dringlichere Fragen („Euro-Schuldenkrise, Islam und Integration oder die Situation an den Hochschulen“) auf der Tagesordnung stünden, heißt es in einem Rundschreiben der Protest-Initiatoren. Und weiter: „Wir wollen eine demokratische Abstimmung, ob Verbandsbruder Weidner noch das Vertrauen der DB besitzt. Sollte er keine Mehrheit mehr haben, stünden gute Alternativen für den Schriftleiterposten bereit. Sollte sich nach wie vor eine Mehrheit für ihn aussprechen, so müßten wir dies akzeptieren. Aber wir wollen eine Abstimmung, um Klarheit zu haben.“

„Dauerhafter Unfrieden wäre vorprogrammiert“

Weidner selbst wies gegenüber der JUNGEN FREIHEIT das Gerücht, er werde auf dem Burschentag freiwillig seinen Posten räumen, um die Wogen zu glätten, zurück. Auch habe er nach reiflicher Überlegung von seiner Idee, eine Art „Vertrauensfrage“ zu stellen, mittlerweile Abstand genommen. „Die Art und Weise der Unterschriftenkampagne entspricht einem Kesseltreiben gegen meine Person“, so Weidner. Einem Abwahlantrag sehe er jedoch gelassen entgegen, da er in den vergangenen Wochen viel Zuspruch erhalten habe. Selbst von Burschenschaftern, die einen grundsätzlichen Gesprächsbedarf über eine veränderte Ausrichtung des Dachverbands für sinnvoll erachten. Aber auch der Schriftleiter der Burschenschaftlichen Blätter stellt fest: „Die Fronten sind verhärtet.“

Nicht unwahrscheinlich wäre folgendes Szenario: Die nötige Zweidrittelmehrheit der Stimmen für einen Initiativantrag zur Abwahl Weidners kommt nicht zustande, es gibt jedoch eine einfache Mehrheit gegen den Schriftleiter. Dann käme es auf Weidners persönliche Schlußfolgerung an: Beharrt er auf dem formalen Scheitern seiner Gegner und bleibt im Amt, oder räumt er seinen Posten, um dem Wunsch einer Mehrheit zu entsprechen und den Konflikt zu entschärfen. Sollte er sich in einer solchen Konstellation für die erste Variante entscheiden, „wäre ein dauerhafter Unfrieden vorprogrammiert“, sagt ein Burschenschafter der JUNGEN FREIHEIT.

Denn für einige Bünde würde dies (genauso wie das ebenfalls denkbare Nichterreichen einer relativen Mehrheit) Anlaß sein, sich von der DB abzuwenden und einen Austritt zu forcieren. Die Rede ist von bis zu dreißig Burschenschaften, in denen ernsthafte Austrittsabsichten vorherrschen; in fünf bis zehn Bünden scheinen die Absichten schon verdichtet.

Dies wiederum kann in Einzelfällen zu Spaltungen oder Austrittswellen innerhalb von Burschenschaften führen; in manchen Bünden liegen die Hürden so hoch, daß eine Mehrheit zwar aus der DB austreten möchte, allerdings das nötige Quorum verfehlt. Oder aber, daß die Altherrenschaft eines Bundes zwar mehrheitlich den Austritt beschließt, die Aktivitas (also die studentischen Mitglieder) diesen Schritt aber nicht mitmacht und den Bund verläßt, der dann ohne Nachwuchs dasteht. All dies hat es bei Austritten verschiedener Bünde in jüngster Zeit gegeben, so beispielsweise in Würzburg oder Jena.

Bereits seit einiger Zeit kursieren immer wieder Gerüchte um die Gründung eines neuen burschenschaftlichen Zusammenschlusses, die mal bestätigt, mal dementiert werden. Hintergrund ist die Tatsache, daß manche der Bünde, die vor kurzem aus der DB ausgetreten sind oder einen Austritt ernsthaft in Erwägung ziehen, nicht dem „klassischen“ liberalen Flügel zuzuordnen sind, aus dem heraus beispielsweise 1996 die Neue Deutsche Burschenschaft (NDB) als Abspaltung hervorging. Sich ihr anzuschließen, käme vor allem für die in korporationsstudentischer Hinsicht konservativen Burschenschaften, die unter anderem an der Pflichtmensur (dem traditionellen studentischen Fechtkampf mit scharfen „Schlägern“) festhalten, nicht in Frage. Die Suche nach Alternativen geht soweit, daß schon beim Coburger Convent (CC) der Landsmannschaften und Turnerschaften (siehe Seite 12) vorgefühlt wurde, inwieweit auch für Burschenschaften Platz in diesem Verband wäre. Formal scheint dem nichts entgegenzustehen, allerdings gibt es innerhalb des CC starke Vorbehalte. Man wolle sich durch die mittlerweile negative Konnotierung des Begriffs Burschenschaft nicht ein neues Imageproblem anhaften, ist zu vernehmen.

Eine andere Adresse für den Wunsch nach einem neuen Dachverband ist die aus den drei Jenaischen Burschenschaften Germania, Arminia auf dem Burgkeller und Teutonia gebildete Urburschenschaft. Alle drei Bünde sind mittlerweile nicht mehr Mitglied der DB. Wie es heißt, würden sie von anderen Bünden geradezu bestürmt, eine entsprechende Sammlung voranzubringen. Allerdings gibt es offenbar in mindestens einem Jenaer Bund erhebliche Vorbehalte – unter anderem mit dem Hinweis, die Spaltung der Burschenschaft nicht weiter zu forcieren.

Der Mitgliederrückgang hat vor allem finanzielle Folgen

Die Austritte der jüngeren Vergangenheit haben den Verband – zumindest finanziell – arg gebeutelt, selbst wenn es im Gegenzug auch Neuaufnahmen gab. Aber es sind zum Teil gerade mitgliederstarke Bünde gewesen, die der DB den Rücken kehrten, im vergangenen Jahr etwa die Burschenschaft Frankonia Heidelberg, die wie zwei Bonner Burschenschaften im Gefolge des letzten Burschentages den Austritt erklärt hatte. Da der Verband über ein Umlagesystem, das sich an der Zahl der Alten Herren der Mitgliedsburschenschaften orientiert, finanziert wird, schlägt der Austritt mitgliedsstarker Bünde überproportional zu Buche. So kommt es, daß schon vor zwei Jahren unter anderem wegen des Mitgliederrückgangs zwischen den geplanten und den tatsächlichen Einnahmen der DB eine Lücke von mehr als 30.000 Euro klaffte.

„Was bringt uns denn eine DB-Mitgliedschaft noch?“ fragt ein Alter Herr, der sich ohne zu Zögern konservativ nennt. „Sie kostet uns viel Geld, aber sie bringt uns keine Vorteile, im Gegenteil: Wir leiden unter dem schlechten Ruf, einem rechtsextremen Verband anzugehören.“ Und wenn man manche Wortmeldungen aus der DB höre, falle einem schwer, dagegen anzuargumentieren, so das ernüchternde Fazit des Burschenschafters. Häufig schwingt in solchen Äußerungen auch der Ärger über österreichische Burschenschaften mit, die oft tonangebend in der Burschenschaftlichen Gemeinschaft sind: „Die Österreicher haben ihr Drittes Lager, die FPÖ, die sind im gesellschaftlichen Leben durchaus integriert. Für Akademiker in der Bundesrepublik sieht das anders aus. Da kann man es sich nicht leisten, daß irgendwann sich nur noch die NPD als politischer  Gesprächspartner für Burschenschafter anbietet“, beklagt sich ein weiterer Alter Herr.

Und noch ziemlich konkrete Sorge treibt manchen Bandträger um: die, daß bald Schluß sein könnte mit der Burschenherrlichkeit in Eisenach. Denn in der Wartburgstadt, die seit 1991 wieder den jährlichen Burschentag beherbergt und wo die DB sogar über eigene Liegenschaften – das Burschenschafterdenkmal und das benachbarte Berghotel an der Göpelskuppe – verfügt, wird mächtig politischer Druck gegen das Treffen gemacht. So habe die Stadtverwaltung, die ab dem Sommer von einer Oberbürgermeisterin der Linkspartei geleitet wird, auf die Rechtsextremismusklausel im Mietvertrag für die Tagungshalle hingewiesen, nach der bei einem Verstoß seitens des Veranstalters der Stadt ein Sonderkündigungsrecht zustehe.

Angeblich habe die Vorsitzende Burschenschaft aus diesem Grund Norbert Weidner eine Art Redeverbot erteilt. Auf Nachfrage möchte sich seitens der DB keiner dazu äußern. Weidner selbst meinte gegenüber der JF lediglich, er habe ohnehin nicht vorgehabt, eine Rede auf dem Burschentag zu halten. Seitens der Stadt bestätigte eine Sprecherin auf Anfrage der JF, daß den Behörden eine Rednerliste vorgelegt worden sei. Auf ihr habe sich kein Name befunden, der politisch Anstoß erregen könnte.

Anders sehen dies diverse linksextreme Antifa-Initiativen, die seit Wochen in zahlreichen Universitätststädten zu einer Demonstration sowie Blockaden gegen den Burschentag in Eisenach mobil machen. Im vergangenen Jahr war es bereits nach vielen Jahren der Ruhe erstmals zu derartigen Protesten gegen die Burschenschaftsveranstaltungen gekommen. Die Angst davor, daß im Zusammenhang damit sowie mit der negativen Berichterstattung über die DB auch die grundsätzliche Sympathie der Eisenacher für die Burschen Schaden nimmt, leuchtet ein.

 

Deutsche Burschenschaft

Die Deutsche Burschenschaft (DB) ist der Dachverband von knapp 120 bundesdeutschen und österreichischen Studentenverbindungen mit zusammen etwa 10.000 Mitgliedern („Aktive“ und „Alte Herren“).

Gegründet wurde die DB offiziell 1902 als Nachfolgeorganisation (genauer: Umbenennung) des Allgemeinen Deputierten-Convents (ADC), der seit 1881 als Zusammenschluß aller Burschenschaften an den reichsdeutschen Universitäten fungierte.

Im Unterschied zu anderen Korporationsverbänden hat die Deutsche Burschenschaft (Wahlspruch „Ehre, Freiheit, Vaterland“) den Anspruch, politisch zu sein. Ausdrücklich verpflichtet sie ihre Mitglieder, sich für die freie Entfaltung des deutschen Volkes einzusetzen und dabei alle Teile – unabhängig von staatlichen Grenzen – zu berücksichtigen.

Als Geburtsstunde der Burschenschaft gilt der 12. Juni 1815, als sich vor der „Tanne“ in Jena die Fahnen der bisherigen, landsmannschaftlich ausgerichteten Verbindungen senkten – als Manifest für die Überwindung der Zersplitterung Deutschlands.

Die Gründer dieser sogenannten „Urburschenschaft“ waren maßgeblich geprägt vom Erlebnis der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich und beeinflußt von den Ideen Ernst Moritz Arndts oder des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn. Von Jena aus erging auch zwei Jahre später die Einladung zum Wartburgfest (18. Oktober 1817).

Sehr früh offenbarte sich in der Burschenschaft eine Konfliktlinie zwischen den Bünden, die den Schwerpunkt auf die politische Bildung ihrer Mitglieder legten, und denen, die stärker aktivistisch orientiert waren.

Auch heute gibt es in der DB rund zwanzig sogenannte Kartelle und Zusammenschlüsse, die teilweise für eine bestimmte (politische) Ausrichtung stehen und einer „Partei“ oder „Fraktion“ vergleichbar sind. Der größte und verbandsintern wirkungsvollste Zusammenschluß ist die 1961 gegründete Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG). Höchstes Beschlußorgan der DB ist der jährlich in Eisenach stattfindende Burschentag.

 www.burschenschaft.de

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