© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

„Es gibt viele Deserteure unter uns“
Geschichtspolitik: In Hamburg ist ein neuer Streit um das Denkmal für das Infanterieregiment 76 entbrannt
Sverre Schacht

Der vermeintliche Stein des Anstoßes zeigt 88 aus dem Muschelkalk gehauene Soldaten. Sie marschieren im Gleichschritt unter dem Spruch „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen“ durch ein dem Hamburgwappen nachempfundenes Stadttor. Das war auch Regimentswappen des Infanterieregiments „Hamburg“ (2. Hanseatisches) Nr. 76, das bis 1919 bestand. Das aus diesem Grund 76er-Denkmal genannte Ehrenmal am Hamburger Dammtor-Bahnhof ist dessen Soldaten des Ersten Weltkrieges gewidmet.

Linke Kreise bezeichnen das hellgraue Werk des Bildhauers Richard Kuöhl von 1936 gern als „Kriegsklotz“. Seit Jahrzehnten kämpfen sie vergeblich mit allen Mitteln für dessen Entfernung, kaum ein Bauwerk Hamburgs wird so häufig mit Farbe beschmiert. Für Reinigung und Unterhalt des Ehrenmals, das Hamburgs offizieller Gedenkstättenwegweiser als „Denkmal in Vorbereitung eines neuen Weltkrieges“ bezeichnet, kommt indes nicht die Stadt, sondern seit Jahren der private „Bund für Denkmal-Erhaltung e.V.“ auf. Jetzt feiern die Gegner des Denkmals wieder „Klotzpartys“ vor dem Monument. Mehrere Gruppen um das „Bündnis für ein Hamburger Deserteursdenkmal“ fordern eine Umwidmung des „Kriegerdenkmals“ in ein Mahnmal für Fahnenflüchtige.Die aktuelle Idee kommt aus dem Kreis der sogenannten Geschichtswerkstätten.  Der Kulturausschuß der Bürgerschaft diskutiert den Vorschlag bereits und im Juni wollen Schüler Hamburgs Ersten Bürgermeister, Olaf Scholz (SPD), von den neuen Plänen überzeugen.

Hrdlickas unvollendetes Gegendenkmal

Detlef Mielke von der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen“ warb für die Idee unter anderem im Regionalfernsehen: „Hamburg braucht eine solche Stätte – auch, um in Zukunft zu bedenken, was Soldaten im Krieg eigentlich machen“, sagte Mielke. Das Denkmal zeige generell nicht die richtige Art, miteinander umzugehen. Um ihre Forderung zu bekräftigen, enthüllte die Protestgruppe als Gestaltungsvorschlag, als Symbol für einen Deserteur, den Schattenriß eines in Gegenrichtung zu seinen Kameraden maschierenden Soldaten.

Dabei gibt es am Dammtor bereits ein Gegendenkmal: Geschaffen vom Wiener Künstler Alfred Hrdlicka im Auftrag des Hamburger Senats, steht es seit 1985 nur wenige Meter vom 76er-Denkmal entfernt. Die Politik meinte damals bereits, das Original nicht unkommentiert lassen zu können. Doch da es Streit ums Geld gab, hat der 2009 verstorbene Hrdlicka nur einen Teil seines raumgreifenden Entwurfs umgesetzt. Aber das Gegendenkmal ist der jetzigen Protestgruppe nicht genug. Sie will zwar kein drittes Bauwerk, aber „wir wollen, daß es eine Ausschreibung von Künstlern gibt, die eventuell dieses Denkmal miteinbeziehen oder etwas dagegensetzen“, sagte Mielke über das Kriegerdenkmal. Die Finanzierung soll die Stadt übernehmen. Mielke: „Es gibt viele Deserteure unter uns, die meisten in der Erscheinungsform von Migranten.“ Der Ort würde so auch in ein Mahnmal für Zuwanderer verwandelt.

Von den Medien kommt Schützenhilfe: „Der Kriegsklotz stammt noch aus Zeiten des nationalsozialistischen Regimes“ so der Kommentar im Regional-TV Tide zum Protestprojekt. Die Welt verwies unterdessen darauf, daß bereits seit Jahren am ehemaligen Truppenschießplatz am Höltigbaum an die rund 300 Fahnenflüchtigen die in Hamburg erschossen wurden, erinnert wird. Doch „da kommt nie einer hin“, kritisiert René Senenko von der Geschichtswerkstatt der Willi-Bredel-Gesellschaft.

Die historische Perspektive kommt in der Diskussion indes viel zu kurz. Ein Blick in entsprechende Akten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs dokumentiert nämlich nicht nur die Härte von Urteilen gegen Deserteure. Mitunter war das Fortbleiben von der Truppe Folge individueller Verbrechen, die einzelne Soldaten begangen hatten. In anderen deutschen Städten werden auch diese Soldaten bereits in die zeitgenössische (Um-)Interpretation der Geschichte einbezogen: „Hommage den Soldaten, die sich weigerten“ ist vielfarbig als Schriftzug auf dem Kölner Deserteursdenkmal zu lesen. Entsprechend kreist die veröffentlichte Meinung fast allein um die Frage, warum Hamburg noch kein Denkmal für Deserteure habe. Das „Kriegerdenkmal“ wird dabei unreflektiert mit den Nationalsozialisten gleichgesetzt. Tatsächlich stammt die Anregung zu einem Mahnmal für Hamburger Soldaten des Ersten Weltkrieges bereits aus der Zeit vor 1933. Die Initiatoren, allen voran der spätere Bauherr, die Traditionsvereine des Infanterieregiments 76, wollten einen Gegenpol zum 1931 eingeweihten „Hamburger Ehrenmal“ des Expressionisten Ernst Barlach am Rathausmarkt schaffen. Dieses widmet sich bewußt nur dem Aspekt Trauer und steht so auch nicht im Visier der Umwidmungsinitiative.

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