© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Nur einig stark
Burschenschaft: Der Verband sollte sich nicht mehr mit sich selbst beschäftigen
Michael Paulwitz

Termingerecht zu ihrem jährlichen Burschentag in Eisenach steht die Deutsche Burschenschaft wieder vor einem Flügelstreit, der sie zu zerreißen droht. Erregte im vergangenen Jahr eine Kontroverse über die Mitgliedschaft von Verbandsbrüdern mit rein ausländischen Vorfahren maximale – und negative – Medienaufmerksamkeit, sind es in diesem Jahr der Schriftleiter der Verbandszeitschrift und seine intern geäußerte Meinung zu dem Widerstandsmann Dietrich Bonhoeffer, die zum Gegenstand eines über die Medien ausgetragenen erbitterten internen Kampfes gemacht wurden (JF 18/12).

Es wäre zu simpel gedacht, diesen Streit auf die medienkompatibel vorgefertigte Gut-Böse-Dichotomie von finsteren „Neonazis“ und „Rechtsextremisten“ hie und lichten „Liberalen“ da zusammenzupressen. Im Kern handelt es sich vielmehr um den Widerstreit zweier entgegengesetzter Formen von Realitätsflucht angesichts einer Lage, in der konservative, freiheitliche und patriotische Haltungen auf maximalen Gegenwind treffen, aber gerade deswegen mutige, besonnene und geradlinige Verfechter als Gegengewicht zum linksliberalen Konformismus brauchen.

Blickt man auf ihre bald zweihundertjährige Tradition zurück, erscheinen die Burschenschaften für diese Rolle geradezu prädestiniert: Haben sie doch in ihren Sternstunden, von den Freiheitskriegen über Wartburgfest und Hambacher Fest bis zum Paulskirchenparlament, als national-patriotische Avantgarde wesentliche Kapitel der deutschen Freiheitserzählung geschrieben oder maßgeblich mitgestaltet – eine positive, identitätsstiftende Nationalerzählung, die sich über den „Aufstand des Gewissens“ des 20. Juli 1944, den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und den von einer friedlichen Massenerhebung erzwungenen Mauerfall am 9. November 1989 bis heute fortschreiben läßt. Dieser Aufgabe wird die Deutsche Burschenschaft in ihrer gegenwärtigen Verfassung kaum gerecht. Zum einen liegt das an den äußeren Rahmenbedingungen: Zwar ist der Akademikerverband mit rund 120 Mitgliedsbünden und etwa zehntausend aktiven Studenten und Alten Herren noch immer zahlenstark, aber zugleich gesellschaftlich marginalisiert. Das mediale Bild in der Öffentlichkeit wird von linksextremen Zerrbildern bestimmt. Burschenschafter in herausgehobener Position sind häufig weit davon entfernt, burschenschaftliche Ideale offensiv zu vertreten; von der Verbandsmitgliedschaft prominenter Politiker erfährt man meist erst, wenn sie sich unter linkem Kampagnendruck hektisch davon distanzieren.

Das Unvermögen, dem eigenen national-freiheitlichen Erbe und dem eigenen politischen Anspruch gerecht zu werden, den die Deutsche Burschenschaft als einziger verbindungsstudentischer Dachverband hochhält, hat zwei gegensätzliche Fluchtbewegungen ausgelöst, die beide in die Entpolitisierung und in die politische Selbstkastrierung münden.

Die eine Fluchtrichtung führt in die beflissene Anbiederung an den Zeitgeist und in die gewollte Harmlosigkeit. Sie wird bevorzugt von denen eingeschlagen, die gerne distanzierende Protestaufrufe unterzeichnen und sich dafür als die guten „Liberalen“ feiern lassen; die aus dem Dachverband Deutsche Burschenschaft austreten und einen neuen gründen, der aber auch nicht aus dem burschenschaftlichen Erbe heraus kritisch zu den drängenden Fragen der Zeit Stellung bezieht, sondern vielmehr die Botschaft aussendet, man sei ja gar nicht so schlimm und wolle doch nur in Ruhe gelassen werden.

Die andere, entgegengesetzte Fluchtrichtung führt dagegen in Bunkermentalität und Verbalradikalismus. Man sitzt im Keller und zieht die Vorhänge zu vor der komplizierten Welt da draußen und macht sie sich einfacher, indem man das Deutschtum der eigenen Verbandsbrüder anzweifelt und die Bewältigungsdebatten der fünfziger Jahre wieder aufwärmt, während draußen die orientalische Landnahme ungebremst voranschreitet und die Rettungseuropäer die letzten Reste des deutschen Nationalstaats abräumen.

Beiden Realitätsfluchten gemeinsam ist die Selbstfixiertheit auf innerverbandliche Majoritätsspiele und Personalquerelen, das Sich-Verbeißen in mitunter absurde, reaktionäre Pseudo-Diskussionen, die bei Außenstehenden Unverständnis und Kopfschütteln produzieren und all jene aufmunitionieren, die am liebsten das ganze Verbindungswesen liquidieren würden. Der Rückzug auf die Selbstbeschäftigung bedeutet schließlich nicht, daß der Feind einen vergißt.

Die Deutsche Burschenschaft steht am Scheideweg: Liefert sie sich auf der einen Seite der Beliebigkeit und auf der anderen dem Sektierertum und der extremistischen Infiltration aus, sind ihre Tage gezählt. Besinnt sie sich aber auf ihr Erbe als Vorkämpfer der nationalen Einheits- und Freiheitsbewegung; lernt sie wieder, politisch zu denken, Wichtiges von Unwichtigem zu scheiden und auch in der politischen Auseinandersetzung eine scharfe Klinge zu führen, ohne die Deckung zu vernachlässigen; begreift sie, daß man das Vaterland nicht nur hochleben lassen, sondern gegen seine Abwickler verteidigen muß, und daß die Fürstenthrone, vor denen Standhaftigkeit geboten ist, heute in Berlin und Brüssel stehen, dann kann sie wieder eine tragende Rolle als national-freiheitliche Avantgarde spielen, statt sich von den Medien jagen zu lassen. Der Eisenacher Burschentag hat es in der Hand.

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