© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Eine neue Planwirtschaft
Die erneuerbaren Energien gewährleisten keine Versorgungssicherheit / Jetzt kommt die Quittung
Edgar Ludwig Gärtner

Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahre 2000 hat die damalige rot-grüne Bundesregierung eine Kostenlawine losgetreten, deren Sogwirkung jetzt kaum noch jemand ausweichen kann. Nach der Havarie der Kernreaktoren von Fukushima im März 2011 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer unter dem Beifall der Mehrheit des deutschen Wahlvolkes getroffenen Entscheidung, die Hälfte der deutschen Kernkraftwerke sofort stillzulegen und im Namen der „Energiewende“ noch stärker auf sogenannte erneuerbare Energien zu setzen, alles noch schlimmer gemacht.

Der eiskalte Rauswurf ihres bisherigen Lieblingsministers Norbert Röttgen kann als Eingeständnis gewertet werden, daß der Zug der „Energiewende“ dabei ist, ungebremst in eine Sackgasse zu rasen. Angela Merkel hat nun vorsorglich die „Energiewende“ zur Chefsache erklärt und angekündigt, sich im halbjährlichen Turnus mit den Ministerpräsidenten der Länder zusammenzusetzen, um über den Fortgang des als „Revolution“ gepriesenen Unterfangens zu beraten. Doch diese Sitzungen werden, wie zu hören ist, wegen der unübersichtlichen Interessenlage zu einem Hauen und Stechen quer durch die Parteien. Wird die Kanzlerin die aus dem Ruder laufende Revolution überhaupt noch zähmen können, bevor diese ihre eigenen Kinder frißt?

Angelockt durch staatlich festgesetzte hohe Einspeisevergütungen für nicht marktreife Energietechniken, wurden auf Teufel komm raus Zigtausende Windräder und Millionen von Solarpanelen installiert, ohne daß jemand wüßte, wie der von ihnen witterungsabhängig produzierte Strom im Netz untergebracht werden kann. Da Wechselstrom nicht gespeichert werden kann, muß in jedem beliebigen Moment in etwa soviel Strom verbraucht werden, wie produziert wurde, damit seine Frequenz vorgegebene Toleranzgrenzen nicht über- oder unterschreitet. Andernfalls kommt es wegen der Gefahr der Zerstörung von Generatoren zu einer Kettenreaktion von Notabschaltungen herkömmlicher Kraftwerke und in deren Folge zu einem großflächigen Blackout, der Tage andauern kann. Was dann in einigen Ballungsgebieten mit sozialen Brennpunkten los wäre, kann man sich leicht ausmalen.

Die Verschandelung der gewachsenen Kulturlandschaft durch unzählige Windräder ist das gewollte Symbol der „Energiewende“. Doch die inzwischen aufgebaute Windkraftkapazität von über 27.000 Megawatt ersetzt bis dato wegen ihrer eingeschränkten Verfügbarkeit gerade einmal 1.900 Megawatt konventionelle Kraftwerkskapazität. Windräder sind also potemkinsche Konstruktionen, die den Machtanspruch der Grünen aller etablierten Parteien demonstrieren. Hinter der zur Schau gestellten Wende vollzieht sich in Wirklichkeit eine heimliche Renaissance der Kohle. Die Braunkohle ist nach der Abschaltung von sieben Kernkraftwerken in Deutschland wieder zum wichtigsten Primärenergieträger geworden. Daran wird sich in den kommenden Jahren wohl nicht viel ändern, auch wenn wegen mangelnder Rentabilität und des Widerstandes in der Bevölkerung kaum noch neue Kohlekraftwerke gebaut werden.

Der unkoordinierte Aufbau witterungsabhängiger Kapazitäten hat also unsere Abhängigkeit von „fossilen“ Energieträgern und den Ausstoß sogenannter Klimagase kaum vermindert. Stattdessen hat er zu einer Explosion der Stromkosten geführt. Denn die Produzenten von Wind- oder Solarstrom bekommen ihre Einspeisevergütung – egal ob der von ihnen ins Netz eingespeiste Strom gebraucht wird oder nicht. Über einen Aufschlag auf den Strompreis müssen die Endverbraucher die Kosten der losgetretenen Lawine tragen. Die Deutschen bezahlen schon jetzt die höchsten Strompreise in Europa. Die Strompreise für Privathaushalte sind seit der Jahrtausendwende um 77 Prozent gestiegen. Die darin enthaltenen Steuern und EEG-Abgaben belaufen sich inzwischen auf jährlich fast 24 Milliarden Euro. Innerhalb der vergangenen 15 Jahre ist dieser Anteil um sage und schreibe 1.000 Prozent gestiegen. Ein Versuch der Bundesregierung, die Progression der EEG-Umlage zu stoppen, scheiterte jüngst an einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat, denn überall sitzen Profiteure des EEG.

Ein Drei-Personen-Haushalt bezahlt jetzt schon monatlich über 75 Euro für Strom. Für nicht wenige kommt nun die Armut aus der Steckdose. Experten erwarten, daß sich der Strompreis in den nächsten zehn Jahren verdoppelt. Das Gespenst der Deindustrialisierung Deutschlands nimmt Form an, nachdem erste Firmen wegen zu hoher Strompreise pleite gingen.

Das EEG hat das einst zuverlässig funktionierende deutsche Stromversorgungssystem in ein Chaos verwandelt. Jede marktwidrige staatliche Regelung zieht weitere staatliche Eingriffe in den Strommarkt nach sich: Wegen des gesetzlichen Vorrangs der Einspeisung von EEG-Strom rechnen sich Investitionen in neue Kohle- und Gaskraftwerke nicht mehr, da diese zu Lückenbüßern degradiert werden. Solche Investitionen wären aber selbst nach Ansicht von EEG-Befürwortern notwendig, um die Stabilität des Stromnetzes bei Windflauten und Dunkelheit zu gewährleisten. Also verlangen Stromkonzerne und Kommunen nun staatliche Hilfen für den Bau von Kohle- und Gaskraftwerken. Auch ebenso dringliche Investitionen in neue Hochspannungstrassen für den Transport des Windstroms von Nord nach Süd sind nicht mehr attraktiv, weil die Bundesnetzagentur die Netzentgelte festsetzt. Am Ende wird sich kaum noch etwas privatwirtschaftlich rechnen. Schon fordert der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister (CDU) die komplette Verstaatlichung der Netze.

Der Zug geht in Richtung totale Planwirtschaft, in der Improvisieren zum täglichen Geschäft wird. Ist das nur Dilettantismus?

 

Edgar Ludwig Gärtner ist Ökologie- und Wissenschaftsautor (Wirtschaftswoche, Neue Zürcher Zeitung)

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