© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Der Mahner
Euro-Kritik: Das am Dienstag dieser Woche vorgestellte neue Buch von Thilo Sarrazin sorgt für Aufregung in der politischen Klasse Deutschlands
Paul Rosen

Von Otto von Habsburg stammt der Satz, die Weltgeschichte sei eine Geschichte gebrochener Verträge. Nirgendwo wird diese Erkenntnis heute besser bestätigt als bei der Europäischen Währungsunion. Es wird verdreht, getäuscht, gelogen und Gebrochenes sofort neu versprochen. Hasardeure müßte man die seinerzeitigen und jetzigen Verantwortlichen schelten, aber Thilo Sarrazin ist ein höflicher Mann und beschränkt sich auf Abenteurer, die er in Europa am Werke sieht: „Ein Abenteuer war es, eine Währungsunion ohne politische Union zu beginnen, ein Abenteuer war es, alle relevanten Regeln des Maastricht-Vertrages zu brechen, und ein Abenteuer war es, im Mai 2010 in eine ‘Rettung Griechenlands’ einzusteigen, ohne einen Überblick zu haben und das Ende absehen zu können.“

Daß die Verantwortlichen keinen Überblick mehr haben und den Kurs des Narrenschiffs nicht mehr kennen, macht SPD-Mitglied Sarrazin, dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“ für Furore und Höchstauflagen sorgte, in seinem neuen Werk klar: „Europa braucht den Euro nicht“ (DVA) vermittelt auf 462 Seiten detaillierte und fundierte Einblicke in die europäische und internationale Währungspolitik. Damit hat der ehemalige Bundesbanker und Berliner Finanzsenator das ultimative Werkzeug für die Auseinandersetzung mit Beschönigern, Gesundbetern und Lügnern in Sachen Euro vorgelegt. Und er geißelt den deutschen Schuldkomplex im monetären Bereich, so daß Mainstream- und GEZ-Medien bereits vor Erscheinen des Titels ein Wutgeheul wie bei „Deutschland schafft sich ab“ anstimmten.

Ein zentraler Satz macht die ganze Widersinnigkeit des Euro-Projekts deutlich: „Während der Euro ursprünglich dazu gedacht war, die politische Union zu erzwingen, die man auf direktem Weg nicht meinte durchsetzen zu können, soll nunmehr die politische Union kommen, um den Euro zu retten.“ Der europäische Bundesstaat sei jedoch eine Utopie. Gründe führt Sarrazin reichlich auf, indem er zum Beispiel die grundverschiedene Geschichte und Kultur der verschiedenen europäischen Völker skizziert. Drastisch das Urteil zur Wiege der europäischen Kultur: „Griechenland ist das einzig bekannte Beispiel eines Landes, das seit dem Tag seiner Geburt im totalen Bankrott lebt.“ Das von Sarrazin entdeckte Zitat ist gut 150 Jahre alt und stammt von dem französischen Schriftsteller Edmond About anläßlich eines seinerzeitigen „Rettungsschirms“ für das Land, das sich mit levantinischer Verschlagenheit in den Euro hineinschlich.

Eigentlich begann die Geschichte des Euro mit einem Mißverständnis. Die Franzosen wollten ihn, „um endlich die als peinlich und erniedrigend empfundene Stärke der deutschen Währung abzuschaffen. Die Deutschen wollten ihn, weil sie glaubten, damit könne man Frankreich in die so begehrte politische Union mit Europa führen.“ Man sagte in Europa viel, aber selten die Wahrheit: „Nach einem bekannten Wort von Clausewitz ist das erste Opfer des Krieges die Wahrheit, und bei der Diskussion um die gemeinsame europäische Währung scheint es ähnlich zu sein“, stellt der Autor fest.

Ein Scheitern des Euro will Sarrazin übrigens nicht. Er bekennt, es wäre jetzt ein Fehler, „ohne äußerst zwingende Gründe die Währungsunion ausgerechnet an der Nahtstelle zwischen Deutschland und Frankreich wieder aufzutrennen“. Aber äußerst zwingende Gründe für ein Auseinanderbrechen und Scheitern der Währungsunion gibt es genug. Sarrazin schreibt sie im Detail auf.

Das Buch beginnt mit einer leicht verständlich verfaßten Geschichte der modernen Währungen. Sarrazin schildert anschaulich, wie der Traumfigur „Europäische Währungsunion“ Leben eingehaucht wurde. Man denkt an Goethes Zauberlehrlinge: Die in die Welt entlassene Taumfigur Euro entwickelte sich fortan „und in den letzten Jahren zunehmend eigenwillig, nach ihren eigenen Gesetzen und entzog sich mehr und mehr den Bändigungsversuchen ihrer Schöpfer“.

Gestreift werden wirtschaftspolitische Theorien, wie die zur Zeit wieder Oberwasser habende Theorie von Keynes, wonach Staaten in Krisenzeiten Schulden machen sollen für Wirtschaftsprogramme. Die andere Seite von Keynes, „nämlich die Bildung von Haushaltsüberschüssen im Konjunkturaufschwung“, kam nie zustande. Sarrazin bestätigt damit die alte Weisheit, daß eher ein Hund einen Wurstvorrat anlegt als daß Politiker sparen oder sich an Ausgabengrenzen und Schuldenbremsen halten würden.

Damit ist das Scheitern des Euro eigentlich vorausgesagt. Der heutige homo politicus hat einen bis zur nächsten Wahl reichenden Horizont. Staatsmänner, die weiter blicken würden wie einst Bismarck, gibt es nicht. Aber zurück in die Niederungen des Geldes: Sarrazin will die Währung zwar nicht loswerden, aber er macht klar, daß Europa den Euro eigentlich nicht braucht. Eingehend beschäftigt er sich mit dem Maastricht-Vertrag, in den auf deutsches Drängen viele Sicherheiten für die Stabilität eingebaut worden seien, etwa die Vorschrift, kein Land hafte für die Schulden eines anderen (No-Bail-Out). Die Realität war anders: „Die gewaltigen politischen Drücke zeigen leider, daß der Maastricht-Vertrag eine Schönwetter-Veranstaltung war, solange die präzise Einhaltung seiner Bestimmungen nicht erzwungen werden kann.“ Dieser Webfehler wiederholt sich übrigens gerade beim Fiskalpakt.

Die von Deutschland verlangte Unabhängigkeit der Notenbank EZB ist längst dahin; Sarrazin zeigt, daß „Sozialisation der Herkunft und nationale Loyalitäten“ dafür den Ausschlag gaben. Die Anleihekäufe und andere Maßnahmen der EZB haben Billionen-Risiken angehäuft. Am Ende haften aber nur jene, „die noch zahlungsfähig sind. Ein immer größerer Teil der Staatsschulden im Euroraum von acht Billionen wird damit wirtschaftlich gesehen von Deutschland verbürgt“, schreibt Sarrazin. Der Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, meint, daß das deutsche Risiko derzeit bei einer Billion liegt – einschließlich der Target2-Salden der Bundesbank.

Dagegen ist die wirtschaftliche Bilanz der Gemeinschaftswährung ernüchternd. Nördliche Euroländer wie Deutschland, die Niederlande oder Finnland hatten insgesamt kein höheres Wachstum als Länder ohne Euro wie Großbritannien und Schweden. Für die Euro-Südländer ging es sogar bergab. Der für Deutschland angeblich so wichtige Exportmarkt Europa verliert an Bedeutung. Gingen 1999 noch 45,2 Prozent der Exporte in den Euroraum, so sank dieser Wert auf 39,3 im Jahr 2011. Dagegen stiegen die deutschen Exporte in den „Rest der Welt“ stark an. Schuldenstand und öffentliches Defizit haben sich trotz aller Eide und Verträge nach oben entwickelt. Daß die Inflation noch nicht ans Traben gekommen ist, hat eine einfache Erklärung: Sie ist immer ein „Spätindikator“ falscher Geldpolitik. Ist sie aber erst da, kann sie nur mühsam bekämpft werden.

Für neue Ideen wie Eurobonds (einheitliche Schuldenaufnahme aller Länder) hat Sarrazin nur Spott übrig, der ihm aber bereits jetzt als Tabubruch ausgelegt wird: Besonders linke deutsche Politiker seien getrieben von einem Reflex, „wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben“. Eurobonds seien ein Trojanisches Pferd und die erweiterten Rettungsschirme nichts anderes als die Gemeinschaftshaftung für fremde Staatsschulden durch die Hintertür. Dennoch: Die Eurobonds sind wahrscheinlich das kommende Projekt. Wegen der höheren Zinssätze werden Eurobonds die Zinskosten im Bundeshaushalt verdoppeln. Aber nicht sofort, sondern es geschieht schleichend, weil die niedrigverzinslichen deutschen Staatsanleihen noch viele Jahre Laufzeit haben. Wenn die Zinskosten explodieren werden, sind die heutigen Politiker nicht mehr im Amt.

Ernüchternd sind Sarrazins Erfahrungen mit dem Bundesverfassungsgericht, dem er nicht zutraut, den Zug der Lemminge aufzuhalten: „Die Waffe des Verfassungsrechts ist seit dem BVG-Urteil zum europäischen Stabilisierungsmechanismus stumpf geworden.“ Über den früheren Bundesbank-Chef Axel Weber ist zu erfahren, daß er lange schweigend zugesehen habe, als Südeuropäer darangingen, die Anker der Stabilität in der Notenbank zu lichten.

Dem Satz von Kanzlerin Angela Merkel – „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ – setzt Sarrazin das Ergebnis seiner Bestandsaufnahme entgegen. Die gemeinsame Währung habe die wirtschaftliche Integration behindert, statt sie zu fördern.

Sarrazins neues Werk ist erschütternd realistisch. Nach der Lektüre kommt Voltaire in den Sinn: „Am Ende kehrt Papiergeld immer zu seinem wahren inneren Wert zurück – null.“ Mit dem Euro scheint dieses Ende schneller zu kommen.

 

Lesungen

Die nächsten öffentlichen Vorträge und Gespräche mit Thilo Sarrazin zu seinem Buch „Europa braucht den Euro nicht“ finden statt am 11. Juni um 20.30 Uhr in Berlin, am
14. Juni in 19.30 Uhr in Menden und am 12. Juli um 19 Uhr in Pforzheim.

www.randomhouse.de

 

Zitate aus dem Buch

„Wir fühlen uns an den Asterix-Comic erinnert: Vor der gemeinsamen Währung waren nur die Deutschen (…) wirtschaftlich so stark wie Obelix. Dann aber, wenn Miraculix den Zaubertrank „gemeinsame Währung“ mischte und alle davon tranken, dann würden sie alle so stark wie Obelix sein. Der deutsche Obelix hatte ja auch ein schlechtes Gewissen wegen seiner Stärke und wollte diese gerne teilen und sich damit nebenbei auch aller Schuldgefühle entledigen, die ihn zu Recht seit dem Zweiten Weltkrieg plagten und die Freude am eigenen Erfolg schmälerten.“

 

„Wer die großen Visionen, die sich um den Euro ranken, außer acht läßt und sich mit den Augen des Buchprüfers über vorhandene Zahlen beugt, der kommt nicht umhin festzustellen: Ein ökonomischer Gewinn war die gemeinsame Währung in den ersten 13 Jahren ihrer Existenz nicht, wohl aber sind erhebliche Drohverluste aufgelaufen.“

 

„Deutschland hat sich in die Lage gebracht, zu hohen Kosten und mit wachsenden Risiken eine gemeinsame Währung zu verteidigen, die selbst dann, wenn sie funktioniert, dauerhaft weder Wohlstand noch Beschäftigung erhöht.“

 

„Weder der Gemeinsame Markt, noch eine gemeinsame Außen- und Militärpolitik, noch die demokratische Weiterentwicklung der europäischen Institutionen, noch eine allmähliche Verstärkung bundesstaatlicher Elemente in der Europäischen Union setzen zwingend eine gemeinsame Währung voraus oder werden durch diese in irgendeiner Form erleichtert. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Mit der Vorleistung der gemeinsamen Währung ging die deutsche politische Klasse eine Wette darauf ein, daß die politische Union kurz danach quasi mit Naturgesetzlichkeit folgen werde, weil sonst die Währungsunion nicht stabil sei. Die Wette ist gescheitert.“

 

„Die gemeinsame Währung hat der Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Euroländer gegen Deutschland und gegenüber dem Rest der Welt geschadet. Dies hat den Handel innerhalb der Eurozone gedämpft. Die gemeinsame Währung hat also die wirtschaftliche Integration in der Währungsunion behindert, statt sie zu fördern.“

 

„Deutschland braucht den Euro nicht, um seine Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft zu sichern und zu schützen, und der Wettbewerbsfähigkeit der weniger wettbewerbsstarken Länder im Westen und Süden des Euroraums ist die gemeinsame Währung schlecht bekommen. “

 

„Ist ein Land der Eurozone nachhaltig nicht mehr in der Lage, seine Schulden zu bedienen – mindestens im Falle Griechenland ist wohl davon auszugehen –, so wäre eine Insolvenz mit nachfolgender Umschuldung der ehrliche und richtige Weg, damit umzugehen.“

 

„Das Beispiel Griechenland zeigt aber auch: Funktionierende Demokratie besteht eben nicht darin, daß der Schuldner demokratisch abstimmt, ob er seine Schulden bezahlen will. Da wird er sich schon auf die Vorgaben seiner Gläubiger einlassen müssen.“

 

„In der deutschen Politik votieren Vertreter der SPD, der Grünen und der Linkspartei mehrheitlich für Eurobonds. Sie offenbaren damit nicht nur ein tiefes Unverständnis für die psychologischen Voraussetzungen und objektiven Rahmenbedingungen einer soliden staatlichen Finanzwirtschaft sowie für die Quellen des deutschen Wohlstands. Sie sind außerdem getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben.“

 

„Die in Deutschland seit sechs Jahrzehnten besonders ausgeprägte Begeisterung für Europa ist nicht zu erklären ohne die moralische Last der Nazizeit. Allerdings ist dieser Impuls, 67 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, kein sonderlich guter guter Kompaß für Fragen der gemeinsamen Währung und des Zusammenlebens in Europa.“

Thilo Sarrazin: Europa braucht den Euro nicht. DVA, München 2012, gebunden, 462 Seiten, 22,99 Euro

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