© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Nicht immer sind die Haselhühner schuld
Skandalflughafen Berlin: Viele Großprojekte werden nicht mehr mit deutscher Präzision fertiggestellt / Internationale Mega-Blamage
Ronald Berthold

Inzwischen wird es wirklich peinlich. Nach diversen Verschiebungen in den vergangenen Jahren platzte Anfang Mai die Blase Hauptstadtflughafen BER. Der Eröffnungstermin 3. Juni 2012 sei nicht haltbar, mußten der Berliner Regierungschef Klaus Wowereit und sein Brandenburger Amtskollege Matthias Platzeck (beide SPD) verkünden. Zunächst hieß es, ab August, später dann, erst von Oktober an, könne der laut Eigenwerbung „modernste Flughafen Europas“ in Betrieb gehen. Doch auch diese Daten waren nicht zu halten: Die Kosten für das Terminal werden sich auf über 1,2 Milliarden Euro verdoppeln. Neuer Fertigstellungstermin soll nun erst der 17. März 2013 sein.

Aber auch dieses Datum ist wohl nicht zu halten. Die bereits zwei Jahrzehnte andauernde Planung des Mammutprojektes gerät damit endgültig zur Farce. Deutschland und seine Hauptstadt Berlin blamieren sich international. Ausgerechnet die Deutschen, denen im Ausland absolute Zuverlässigkeit nachgesagt wird, beschädigen ihre Reputation nachhaltig. Und sie sorgen für ein Chaos im weltweiten Flugverkehr.

Denn es geht nicht darum, ob die Berliner Familie nun von Tegel in den Urlaub fliegt oder vom neuen Großflughafen aus. Es geht um internationale Flugpläne und andere Flughäfen, von denen Maschinen in die deutsche Hauptstadt starten, und es geht um Luftverkehrsgesellschaften, die Überseereisen von und nach Berlin geplant haben. All dies ist nun Makulatur. Denn dafür ist Tegel nicht ausgelegt. Nicht nur das deutsche Image leidet. Auch den Fluglinien wird erheblicher Schaden zugefügt – insbesondere dem zweitgrößten deutschen Anbieter Air Berlin, der BER als Drehkreuz vorgesehen hat. Entsprechend stinksauer ist ihr Chef, Hartmut Mehdorn. Und bei diesem Namen kommt sofort ein anderes Desaster in Erinnerung, das ebenfalls in Berlin spielte und das genauso internationale Auswirkungen hatte – allerdings nicht ganz so gravierende – wie die BER-Katastrophe. Der Hauptbahnhof Berlin wurde ebenfalls verspätet eröffnet.

Es gab seinerzeit Streit um die Länge des Daches, das schließlich aus Zeitgründen 133 Meter kürzer wurde als geplant. Mehdorn war damals Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn. Wäre die ursprünglich geplante Länge gebaut worden, hätte der riesige Bahnhof erst 2008, zwei Jahre nach der in Deutschland ausgetragenen Fußball-WM, eröffnet werden können.

Warum gibt es bei solchen Großprojekten in Deutschland immer wieder Blamagen? Seit mehr als 30 Jahren zum Beispiel versucht man, die letzte Lücke der Nord-Süd-Autobahn A 1 (Insel Fehmarn-Ruhrgebiet-Saarbrücken) in der Eifel zu schließen. Zuletzt mußten angeblich von den Grünen ins Spiel gebrachte seltene Haselhühner für die Verzögerung herhalten. Doch die gibt es dort gar nicht. Inzwischen hofft man auf eine Eröffnung 2020.

Und der Transrapid mit seiner international vergötterten Technik kam gar nicht erst in die Realisierungsphase. Es scheint, als stünden Umwelt-, Lärmschutz und eine gewisse Technikfeindlichkeit in Deutschland großen Projekten immer wieder im Wege. Auch beim Großflughafen wurde bis zuletzt um Flugrouten, schalldichte Fenster und Nachtflugverbot vor Gericht gestritten.

Wie es anders geht, zeigt derweil Atlanta. In der US-Südstaaten-Metropole wurde eine neue Flughalle gebaut, die fast halb so groß ist wie der gesamte BER. Vergangene Woche ging das neue Terminal planmäßig in Betrieb. Auch das Budget konnten die Planer einhalten. Atlanta baute damit seine Position als weltgrößter Passagierflughafen weiter aus. Ein Erfolg, von dem Berlin derzeit nur träumen kann.

Für die BER-Blamage gibt es offenbar auch andere Gründe, zum Beispiel das fatale Gruppendenken. Die Wirtschaftspsychologin Nicole Torjus erklärt dies im Tagesspiegel so: „Jeder einzelne schließt sich dann der Überzeugung der Gemeinschaft an, auch wenn er selbst es eigentlich anders sieht. Anpassung macht das Leben leichter.“ Außerdem verderben offenbar viele Köche tatsächlich den Brei: „Wenn mehrere Menschen an einem Prozeß beteiligt sind, läßt sich die Schuld prima an den nächsten weiterschieben. Die Gruppe agiert in der Regel zudem riskanter als der einzelne. Wenn man selbst nur die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen hätte, würde man Dinge zum eigenen Schutz viel eher ablehnen, die man in der Gruppe leichter mitträgt.“

Wie kann man dem entgegenwirken? Offenbar auch mit Geld. Fast ein Jahr vor dem eigentlichen Fertigstellungstermin soll die sanierte Hauptstadt-Autobahn Avus dem Verkehr übergeben werden. Hintergrund: Die Baufirmen haben bei schneller Arbeit eine Prämie von bis zu einer Million Euro ausgehandelt. Bleibt zu hoffen, daß dies nicht zu Lasten der Bauqualität ging.

Foto: Baustelle des Flughafens BER: Um alle Flüge zu gewährleisten, bietet sich Leipzig als Ausweichlösung an

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