© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Die deutsche Arbeitsstunde ist längst nicht mehr die teuerste
Augenmaß zahlt sich aus
Michael Wiesberg

Ökonomen, die seit langem behaupten, Deutschland saniere sich auf Kosten des Auslands, weil seine Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der geringen Lohnkosten so stark sei, dürften sich durch das Statistische Bundesamt bestätigt sehen: Die Arbeitskosten in Deutschland sind in den letzten zehn Jahren so schwach gestiegen wie in keinem anderen EU-Land. 2011 zahlten die Arbeitgeber in der Privatwirtschaft 30,10 Euro pro Stunde, was gegenüber 2001 einen Anstieg von 19,4 Prozent bedeutet. Zum Vergleich: In Frankreich stiegen die Arbeitskosten um fast 40 Prozent.

Vergleichsweise niedrig im EU-Vergleich sind in Deutschland die Lohnnebenkosten: Bei 100 Euro Bruttoverdienst zahlten Deutschlands Arbeitgeber 28 Euro für Sozialbeiträge; in Schweden hingegen beliefen sich diese Kosten – der EU-Durchschnittswert liegt bei 32 Euro – auf 52 und in Frankreich auf 50 Euro. Im EU-Vergleich liegt Deutschland bei den Arbeitskosten auf Rang sieben. Am meisten zahlen belgische Arbeitgeber (39,30 Euro). Dagegen lagen die Kosten in Rumänien (4,50 Euro) und Bulgarien (3,50 Euro) deutlich unter dem Durchschnitt.

Mit Blick auf Deutschland gilt es allerdings zu differenzieren: Die Arbeit in der deutschen Industrie ist nicht nur besonders effektiv, sondern auch weiterhin teuer. Sie kostete im Schnitt 34,30 Euro und lag damit weit über dem EU-Durchschnitt. Im EU-weiten Vergleich liegt Deutschland damit auf Rang fünf. Die Wiesbadener Statistiker veröffentlichten daher auch Zahlen zur Arbeitsproduktivität, die zusammen mit den Lohnstückkosten wichtige Kennzahlen im Hinblick auf die Beurteilung der internationalen Konkurrenzfähigkeit eines Landes darstellen. Die Produktivität je Erwerbstätigenstunde in der EU stieg, so die Statistiker, im Zeitraum von 2005 bis 2010 im Durchschnitt um 3,4 Prozent; Deutschland verzeichnete ein Plus von 4 Prozent, Frankreich hingegen verbuchte einen unterdurchschnittlichen Zuwachs von 3 Prozent, während die Produktivität in Italien stagnierte.

Der „große Schluck aus der Lohnpulle“, den angesichts dieser Zahlen die deutschen Gewerkschaften einfordern bzw. schon durchgesetzt haben, ist allerdings riskant: Die Zahlen des Bundesamts machen nämlich klar, daß die Arbeit in Deutschland weiterhin teuer ist. Die privaten Arbeitgeber müßten für eine Stunde Arbeit 32 Prozent mehr als im EU-Durchschnitt zahlen – aber zwölf Prozent weniger als in Frankreich.

Es kann wieder mehr Lohn geben, aber wegen der ungewissen Entwicklung in der Euro-Krise gelte es „Augenmaß bei den Lohnsteigerungen zu wahren“, warnt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Denn es waren auch die moderaten Lohnzuwächse der letzten Jahre, die maßgeblich zur positiven Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt beigetragen haben.

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