© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Grüße aus Madrid
Kein Herz für Blumen
Michael Ludwig

Die Madrilenen sind einiges gewohnt – die Touristenscharen, die jeden Sommer über die spanische Hauptstadt hereinbrechen, die unendlichen Pilgerströme, wenn wieder einmal ein Papstbesuch angesagt ist, oder die vielen tausend Gewerkschaftsanhänger, die mit ihren Demonstrationen die Straßen unpassierbar machen, wenn sie ihre Forderungen durchsetzen wollen. Spanier haben ein großes Herz, und es gibt wenig, was sie aus dem seelischen Gleichgewicht bringen kann. Bei den „Indignados“, den Empörten, die in den letzten Wochen wieder von sich reden gemacht haben, scheiden sich allerdings die Geister.

Es ist nicht nur das bürgerliche Madrid, das über die jugendliche Protestbewegung die Nase rümpft, sondern beispielsweise auch Diego. Der etwa 60jährige verkauft an der Schnittstelle der Calle de Montero mit der Puerta del Sol Lose für die staatliche Lotteriegesellschaft ONCE, deren Erlöse Behinderten zugute kommen. Vor genau einem Jahr begannen die Empörten dort im Herzen der Stadt ihr Zeltlager zu errichten, um gegen die anhaltende Jugendarbeitslosigkeit zu protestieren.

Diego erinnert sich mit Grausen: „Die als Nachbarn zu haben, ist wahrlich nicht einfach“, sagte er einem Reporter der Tageszeitung El Pais. „Sie haben keinen einzigen Centimo bei mir gelassen. Sie rissen alle Blumen aus den Beeten, die sorgsam um die Brunnen angelegt sind, und pflanzten stattdessen Tomaten und Salat. An allen Ecken und Enden hat es schrecklich gestunken.“

Die Vorstellung, daß sich das Spektakel in diesem Sommer wiederholt, ist für Diego der reinste Horror. Damit steht er nicht allein. Viele Hoteliers, Bar- und Restaurantbetreiber und Geschäftsleute sind noch heute auf die Behörden sauer, weil sie nicht frühzeitig den vier Wochen dauernden geschäftsschädigenden Spuk beendet haben.

Doch diesmal scheint der Staat konsequent durchgreifen zu wollen, um allen Anschein zu vermeiden, daß es in Spanien zu griechischen Verhältnissen kommt. Als die Empörten ankündigten, die Puerta del Sol vier Tage lang durchgehend besetzen zu wollen, forderte die Provinzverwaltung, daß die Kundgebung jeden Abend endet. Die große Mehrheit der rund 30.000 Demonstranten hielt sich auch an die Vorgaben der Behörde. Als eine Minderheit versuchte, sie zu ignorieren, wurde sie von den Beamten rigoros vertrieben.

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