© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Der ungeordnete Einsturz droht
Griechenland: Die großen Parteien wollen im Euro bleiben, doch das EU-Spardiktat wird mehrheitlich abgelehnt
Michael Martin

Es war ein gespenstisches Bild.Ganz gleich, welche Zeitung die Griechen voriges Wochenende aufschlugen: Überall waren Bilder von Angela Merkel zu sehen, garniert mit harschen Kommentaren, weil sie es gewagt hatte, den sozialistischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias auf ein Referendum über den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone anzusprechen. Das Telefonat der Kanzlerin wurde als grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten interpretiert.

Für zusätzliche Emotionen sorgte die Tatsache, daß Merkel nicht ihren Amtskollegen Panagiotis Pikrammenos angerufen hatte, sondern Präsident Papoulias. Es sei, als ob der griechische Premier den deutschen Präsidenten Joachim Gauck anrufen und ihm Vorschläge und Ideen unterbreiten würde. Immerhin kühlte sich das griechische Mütchen wieder ein wenig. Ob die Griechen es wollten oder nicht, kommentierte die Athener Zeitung To Vima, praktisch gehe es bei den Neuwahlen um die Frage Euro oder Drachme. „Demnach hat Merkel das ausgesprochen, was wir schon wissen.“

Außer Frage steht, daß die Kanzlerin die Stimmung im griechischen Wahlkampf zusätzlich angeheizt hat. Am 17. Juni werden die Griechen erneut zu den Urnen gerufen, diesmal – so hoffen nicht nur die Einheimischen – werden die Bürger für klare Machtverhältnisse sorgen. „Wir haben leider kein Feuerwerk, um es anzuzünden. Noch so eine Merkel-Intervention, und wir werden stärkste Kraft“, frohlockte ein Führungskader der linksradikalen Partei Syriza. „Merkel spricht, als wäre Griechenland ein Protektorat“, empörte sich ihr Chef Alexis Tsipras. Der unterwürfigen Haltung der konservativen Nea Dimokratia (ND) und der Sozialisten (Pasok) sei es zu verdanken, daß sich die Kanzlerin das Recht herausnehme, so zu reden.

Die bislang zweitstärkste Partei Syriza (2004 als Bündnis linker Splittergruppen in Konkurrenz zur altkommunistischen KKE entstanden) fühlt sich im Aufwind, geht immer mehr in die Offensive. Sie will in Berlin und Paris für neue Verhandlungen über den Reformkurs ihres taumelnden Heimatlandes werben. Die Zeit sei reif für Gespräche darüber, wie Griechenland in der Euro-Zone gehalten werden könne, sagte Tsipras – ohne aber den rigiden Sparkurs fortzusetzen. Er traf bei seiner Berlin-Visite aber nur auf Klaus Ernst und Gregor Gysi von der deutschen Schwesterpartei Die Linke.

Auch in Paris konnte er lediglich den Parti de Gauche-Chef Jean-Luc Mélenchon, viertplazierter Kandidat bei der Präsidentschaftswahl im April, treffen. Tsipras verlangte erneut neue Verhandlungen über die Bedingungen der internationalen Geldgeber auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs. Es sei entwürdigend für einen griechischen Ministerpräsidenten, die Gespräche wie bisher üblich mit technischen Vertretern der sogenannten Troika zu führen, sagte er. Die EU, der Währungsfonds IWF und die Europäische Zentralbank (EZB) hatten mit Zustimmung von ND und Pasok als Basis für ihre Milliardenhilfen ein drastisches Sparprogramm vereinbart – das linke wie rechte Parteien vehement ablehnen. Die KKE und die Rechtspartei Chrysi Avgi wollen auch den Euro aufgeben. Die Syriza hofft hingegen mit dem Versprechen „Euro ohne Spardiktat“ zur stärksten Partei zu werden.

Neue Umfragen zeichnen allerdings ein uneinheitliches Bild. Nach einer in der Zeitung Kathimerini veröffentlichten Public-Issue-Umfrage des Instituts wird ihr ein Sprung von 16,8 auf 28 Prozent prognostiziert. Die ND legt von 18,8 auf 24 Prozent zu. Die Pasok legt von 13,2 auf 15 Prozent zu. Eine Umfrage des Instituts MRB für die Zeitung Real News sieht dagegen die Konservativen mit 20,1 Prozent knapp vor der Syriza mit 19,6 Prozent. Die Pasok kommt hier auf 11,9 Prozent. Auch das Institut Alco sieht die ND mit 23,1 Prozent vor der Syriza mit 21,4 Prozent. Wer stärkste Kraft wird, ist aber entscheidend im griechischen Verhältniswahlrecht: Diese Partei erhält automatisch 50 zusätzliche Mandate im 300sitzigen Parlament.

Angela Merkel wehrte sich am Wochenende am Rande des G8-Gipfels in Camp David gegen die Vorwürfe aus Athen: Alle G8-Staaten wollten, daß Griechenland in der Euro-Zone bleibt. Voraussetzung sei aber, daß das Land die Verpflichtungen, die es eingegangen sei, auch einhalte. „Das ist von allen gleichermaßen hier so geteilt worden“, so die Kanzlerin. Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble redete den Griechen in einem Kathimerini-Interview ins Gewissen. Die griechischen Politiker müßten den Wählern erklären, daß die EU Griechenland helfen wolle. Es gebe aber keine Hilfe ohne Voraussetzungen. Ob das Sparprogramm in die Tat umgesetzt würde, hänge allein von den griechischen Politikern ab.

Griechische Verfassungsexperten haben geäußert, daß Pikrammenos’ Übergangsregierung gar nicht befugt sei, ein Euro-Referendum durchzuführen. Nicht nur in Griechenland wird daher die Frage diskutiert, welchen Zweck die Kanzlerin mit ihrem Vorstoß erfüllen wollte. Eisige Stimmung herrscht indes bei der CDU-Schwesterpartei Nea Dimokratia. Merkel habe für die „falsche Nachricht im falschen Moment“ gesorgt, klagte ND-Chef Antonis Samaras. Parteifunktionäre zeigten sich fassungslos: „Eine solche grobe Intervention haben wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt.“

 

„Raus aus der Euro-Zone“

Der US-Ökonom Nouriel Roubini rechnet fest damit, daß Griechenland spätestens 2013 zahlungsunfähig sein wird und die Euro-Zone verläßt. „Auch wenn es nach den Wahlen im Juni eine neue Regierung gibt, die sich zu einer Variante der gleichen gescheiterten Sparpolitik bekennt und den Ausstieg hinausschiebt, lassen sich Wachstum und Konkurrenzfähigkeit so nicht wiederherstellen“, prognostizierte der Wirtschaftsprofessor von der New York University in der Financial Times Deutschland. Das Land sei „in einem Teufelskreis von Insolvenz, verlorener Konkurrenzfähigkeit, Leistungsbilanzdefiziten und einer sich stetig verschlimmernden Depression“. Der einzige Ausweg sei ein deutlich größerer Schuldenerlaß und ein Ausstieg aus dem Euro. „Eine Umstellung der griechischen Euro-Schulden auf die Drachme ist unvermeidlich. Die Verluste, die die Banken der Euro-Zone erleiden würden, wären zu bewältigen, wenn die Banken ordnungsgemäß und aggressiv mit neuem Kapital versorgt würden“, so Roubini. Der Euro-Austritt werde „mit erheblichen Kollateralschäden einhergehen, aber diese sind beherrschbar“.

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