© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Sarrazin und die Euro-Debatte
Des Pudels Kern
Dieter Stein

Thilo Sarrazin ist wieder da. Sein neues Buch „Eu-ropa braucht den Euro nicht“ stürmt auf Platz eins der Verkaufslisten und kein Medium kommt daran vorbei, sich mit seiner Analyse auseinanderzusetzen. Wieder gelingt es Sarrazin, den Blick für die Realitäten zu öffnen. Seine Kritik ist in großen Teilen nicht neu, denn es gibt seit Beginn der Debatte um die Einführung einer europäischen Einheitswährung massive Warnungen von Ökonomen und Staatsrechtlern vor diesem Abenteuer, die jedoch vom „Kanzler der Einheit“ als nicht hilfreich übergangen wurden.

Wie schon in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ zieht Sarrazin einen Schleier aus Lügen und Propaganda fort, den die politische Klasse über ein zentrales Problem gelegt hat. Und Sarrazin kann beanspruchen, in seinen Funktionen im Bundesfinanzministerium und der Bundesbank an zentraler Stelle die Währungspolitik auf nationaler und europäischer Ebene mitbestimmt zu haben. Er weiß, wovon er schreibt, und sein Urteil fällt nüchtern aus: Es ist ein Märchen, daß der Euro ein wirtschaftliches Erfolgsmodell ist. Im Gegenteil.

Somit kommt Sarrazin auf des Pudels Kern zu sprechen: die ursprünglichen Motive, die zur Umsetzung dieses allen rationalen Argumenten widersprechenden Konstruktes führten. Der Euro sei nämlich mit der Absicht in die Welt gesetzt worden, die politische Union, die eigentlich die Voraussetzung einer gemeinsamen Währung wäre, zu erzwingen: Die Euro-Krise als kathartischer Effekt, der die bockigen Nationalstaaten in die strahlende Zukunft des paradiesischen europäischen Bundesstaates lenkt.

Sarrazin geht nun aber noch weiter und legt den Finger in die Wunde des spezifisch deutschen Komplexes, den Punkt, der deutsche Politiker offensichtlich erpreßbar macht für immer neue Nötigungen, gegen politische und ökonomische Vernunft zu handeln: „Sie sind außerdem getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben.“

Wütende Empörung hat diese Feststellung bei Berufsbetroffenen ausgelöst – sicheres Zeichen, daß Sarrazin ins Schwarze getroffen hat. Henryk M. Broder unterstrich darauf Sarrazins These, indem er feststellte: „Es scheint, als würden die Deutschen sich selber nicht über den Weg trauen, wie ein geheilter Alkoholiker, der um jede Kneipe einen großen Bogen macht.“ Sie suchten Schutz unter dem europäischen Dach und exekutierten lieber absurde Anweisungen aus Brüssel, statt sich auf den eigenen Sachverstand zu verlassen. Recht hat er.

Darüber muß endlich in aller Breite diskutiert werden. Es geht um die geistige Souveränität und politische Handlungsfähigkeit Deutschlands.

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