© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Als die grüne Grenze unpassierbar wurde
Vor sechzig Jahren wurde mit der Abriegelung der Ostzone die Teilung Deutschlands bereits neun Jahre vor dem Mauerbau 1961 offenkundig
Matthias Bath

Im Mai 1952 fand mit der Unterzeichnung des Deutschlandvertrages und des Vertrages über die Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland ihren Abschluß. Die DDR reagierte hierauf in der ihr gemäßen Art.

Am 26. Mai 1952, dem Tag der Unterzeichnung des Deutschlandvertrages, erließ die DDR-Regierung unter Walter Ulbricht eine Verordnung über „Maßnahmen an der Demarkationslinie“ zwischen der DDR und der Bundesrepublik, in der eine verstärkte Grenzbewachung angekündigt wurde, um das weitere „Eindringen von Diversanten, Spionen, Terroristen und Schädlingen“ in die DDR zu verhindern. Nur einen Tag später folgte eine „Polizeiverordnung“ des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR „über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie“. Darin wurden die Einführung eines Zehn-Meter-Kontrollstreifens, eines 500-Meter-Schutzstreifens und einer Fünf-Kilometer-Sperrzone entlang der Grenze zur Bundesrepublik verfügt.

Die Bewohner des Grenzgebiets bedurften von nun an einer durch Stempel in ihren Ausweisen nachgewiesenen Wohnberechtigung für das Grenzgebiet. Nur wer beim jeweiligen Grenzpolizeikommando als Einwohner oder dort Beschäftigter registriert war, durfte den 500-Meter-Schutzstreifen betreten. Ähnlich wie in der DDR-Propaganda über den „antifaschistischen Schutzwall“ diente diese Politik jedoch nicht dem Schutz gegen westliche Spione und Diversanten, sondern der Verhinderung der massenhaften Flucht in die Bundesrepublik.

Durch die angeordneten Sperrmaßnahmen wurde der bis dahin noch mögliche Verkehr über die „grüne Grenze“ praktisch unterbunden. Zwischen der DDR und der Bundesrepublik gab es von nun an nur noch vier Straßenübergänge, sieben Eisenbahnübergänge und drei Wasserstraßenübergänge. Unterbrochen wurden 36 Eisenbahnlinien, 3 Autobahnen und 30 Bundes- bzw. Fernstraßen. Darüber hinaus wurden Ende Mai/Anfang Juni 1952 aber noch Tausende kleinerer Straßen bis hin zu Gemeinde- und Wirtschaftswegen unterbrochen und mit Stacheldrahtzäunen und anderen Hindernissen versperrt. Hunderte von landwirtschaftlichen Betrieben wurden so entlang der Demarkationslinie zerschnitten. Auch der „kleine Grenzverkehr“ zwischen den Bewohnern der Gemeinden an der Zonengrenze kam so zum Erliegen.

Im Zusammenhang mit diesen Sperrmaßnahmen wurden Ende Mai und Anfang Juni 1952 unter dem bezeichnenden Decknamen „Aktion Ungeziefer“ etwa 8.000 „unzuverlässige“ Personen aus den Grenzkreisen der DDR zwangsweise in grenzfernere Regionen der DDR umgesiedelt. In einer Reihe von Orten kam es hierbei zu Protesten der Bevölkerung und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Hunderten eingesetzter „Volkspolizisten“.

In Berlin wurde zunächst von der Ost-Berliner Post am Morgen des 27. Mai 1952 der Telefonverkehr zwischen den beiden Stadthälften unterbrochen. Ab dem 28. Mai setzten dann auch Sperrnaßnahmen in und um Berlin ein. Allerdings vermochten sie anders als die Sperrmaßnahmen an der innerdeutschen Zonengrenze, die innerhalb weniger Wochen zu einer völligen Abschließung der DDR führten, wegen der vielfältigen Verflechtungen der beiden Stadthälften untereinander und mit ihrem Umland noch keine völlige Trennung zu bewirken. Immerhin wurden von den bis dahin noch offenen 178 Straßen, die von West-Berlin in den Sowjetsektor oder das DDR-Umland führten, binnen acht Tagen weitere 63 durch Errichtung von Hindernissen gesperrt. An mehreren Stellen der Außengrenze West-Berlins wurden zudem Grenzstreifen wie an der innerdeutschen Grenze angelegt.

Darüber hinaus galt ab dem 1. Juni 1952 ein Verbot für West-Berliner, das Gebiet der DDR (außerhalb Ost-Berlins) ohne spezielle Passierscheine zu betreten. Derartige Passierscheine wurden in der Folge aber nur in wenigen Einzelfällen ausgestellt, so daß seit dem 1. Juni 1952 der Verkehr vom Westteil Berlins in das Umland nahezu unterbunden war. West-Berliner durften künftig weder ihre in der DDR gelegenen Kleingärten oder sonstigen Immobilien aufsuchen. Auch war ihnen verwehrt, die Gräber von auf Friedhöfen im Berliner Umland beigesetzten Angehörigen zu besuchen. Alle Häuser und Grundstücke von West-Berlinern in der DDR wurden dort im Juli 1952 unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt.

Allerdings durften die Bewohner der DDR weiterhin den Westteil Berlins besuchen, wie auch die West-Berliner den Ostteil ihrer Stadt. Auch blieb das S-Bahn-Netz weiter erhalten und ermöglichte für die Bewohner des Berliner Umlandes die Verbindung mit dem Westen Berlins, wenngleich dies für die West-Berliner umgekehrt nicht mehr galt.

Die Sperrmaßnahmen vom Frühjahr 1952 trugen maßgeblich zur Abkapselung der DDR vom Westen Deutschlands bei. Von nun an waren unkontrollierte Reisen von einem Teil Deutsch-lands in den anderen – sieht man einmal vom Ausnahmefall Berlin ab – nicht mehr möglich. Alle Reisemöglichkeiten hingen nun von Genehmigungen der DDR-Behörden ab, die zunehmend seltener erteilt wurden. Gleichwohl hatte die SED weiterhin noch nicht die volle Kontrolle über die in ihrem Machtbereich lebenden Menschen, denn die offene innerstädtische Grenze in Berlin und das Berliner S-Bahn-System mit seinen Vorortstrecken ins Umland ermöglichten für noch mehr als neun Jahre die unkontrollierte Abwanderung aus dem Staat der SED. Von 1952 bis zum 13. August 1961 sollten mehr als 2,1 Millionen Menschen diese Chance zur Flucht aus der DDR nutzen.

 

Die innerdeutsche Grenze bis 1952

Die alliierten Siegermächte verfügten im Potsdamer Abkommen, daß ein unkontrollierter Grenzverkehr zwischen den Besatzungszonen unterbunden werden sollte, um die Versorgungssicherheit nicht zusätzlich zu belasten, die sich besonders in der britischen und US-Zone durch die Ostvertriebenen anspannte. Seit 1946 durfte ein „kleiner Grenzverkehr“ mit Passierschein stattfinden. In der sowjetischen Zone war bereits im Sommer 1946 mit dem Aufbau einer „Grenzpolizei“ begonnen worden. Hatte sie 1947 noch eine Stärke von 4.000 Mann, so war sie Anfang 1949 auf 13.000 und bis zum Herbst 1952 auf 35.000 Mann angewachsen. Dennoch führte die kommunistische Unterdrückungs- und Enteignungspolitik in der Sowjetzone, aber auch die katastrophale wirtschaftliche Lage gegenüber dem nach der Währungsreform prosperierenden Westdeutschland dazu, daß allein nach Gründung der DDR 1949 bis Mitte 1952 weit über eine halbe Million Deutsche in den Westen flohen. Bei Grenzübertritten kamen mehrere hundert Personen durch die DDR-Grenzpolizei, aber auch Schlepperkriminalität ums Leben.

Foto: Das Grenzmuseum Schifflersgrund (bei Bad Sooden-Allendorf) zeigt Teil der innerdeutschen Grenze zwischen Thüringen und Hessen: Die Grenze wurde auch vom Osten noch als „Demarkationslinie“ bezeichnet

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