© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Vom Rebellen zum Idol
Kino: Eine Doku über den Künstler Jean Tinguely
Claus-M. Wolfschlag

Die Wandlung des Künstlers Jean Tinguely vom Rebellen zum Volkshelden ist nur mit den gesellschaftlichen Veränderungen seit den sechziger Jahren erklärbar. Ein schlichter Dokumentarfilm bringt nun das Werk des Schweizers in Erinnerung.

Tinguely wird 1925 in bescheidenen Verhältnissen in Fribourg/Freiburg geboren und wächst in Basel auf. Von anarchistischen Gedanken angezogen, die in seinem Charakter, in seiner unbändigen Energie wurzeln, wird er als Jugendlicher Mitglied der Kommunistischen Partei. Anfänglich als provokativer und kreativer Schaufensterdekorateur tätig, verhilft ihm die erste Freundin, die Künstlerin Eva Aeppli, zum Sprung nach Paris. Dort bastelt Tinguely Maschinen ohne Funktion aus Schrottplatzmetall zusammen, was in der Gesellschaft der fünfziger Jahre wenig Anklang findet. Ein eingereichtes Paket zur Baseler Weihnachtsausstellung wird umgehend weggeworfen, weil man es für einen Scherz hält. Heute gehört der Gebrauch von Schrott längst zum guten Ton von Kunststudenten in ihren nimmermüden Reproduktionen einstiger Rebellenposen.

Tinguely gelingt erst 1959 auf der Biennale de Jeunes der Durchbruch, als ihm der französische Kulturminister persönlich gratuliert. In den Sechzigern melden sich internationale Galeristen; die Hungerjahre sind vorbei. Tinguely lernt Niki de Saint Phalle kennen, mit der er eine energetisch aufgeladene Partnerschaft eingeht. Sprengungshappenings gelten nun als Symbol zur Vernichtung der bürgerlichen Welt, inklusive der Familie. Doch all das postume Gerede von Kritik an Konsumgesellschaft und Warenwelt wirkt aufgesetzt angesichts Tinguelys aufwendigen Lebensstils, inklusive mehrerer Ferraris.

Die zusammengeschweißten Schrottgebilde lärmen, knallen, dampfen, brennen, zeichnen, werfen Bälle und lassen Puppenköpfe wackeln. Die putzigen, frühindustriell wirkenden Maschinen belustigen, rühren und faszinieren, doch dahinter ist wenig geistiger Gehalt. Die „Bewegung als Leerlauf, die Moderne als Rätsel“ läßt sich immerhin ableiten. Dem selbstgefällig wirkenden Tinguely sind die Maschinen in hohem Maß Mittel, um Aufmerksamkeit zu erheischen. „Die Provokation braucht die Bühne“, sagt eine Kunsthistorikerin.

Tinguelys Schaffen hat etwas Besessenes. Trotz bekannter Herzprobleme nie kürzer tretend, arbeitet er sich faktisch zu Tode. Er stirbt 1991 in Bern.

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