© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Linksschwenk marsch
Christlich-demokratische Parteien in der EU: Niederlagen reihen sich an Niederlagen / Suche nach der zündenden Idee
Ansgar Lange

Europa rückt nach links. In Griechenland scheiterte die konservative Nea Dimokratia bei ihrem Versuch, eine „europafreundliche“ Regierung zu bilden. In Italien brach die frühere Regierungspartei PDL von Silvio Berlusconi bei den Kommunalwahlen ein. Noch wichtiger in ihrer Signalwirkung für das „konservative“ Lager waren aber wohl die französischen Präsidentschaftswahlen. François Hollande eroberte nach 17 Jahren den Élysée-Palast für die Sozialisten zurück. Noch wird eine Mehrheit der 27 EU-Staaten von christlich-demokratischen, liberal-konservativen Parteien regiert. Doch es mehren sich die Zeichen für einen politischen Kurswechsel.

In Belgien hat sich eine Regierung unter Führung des Sozialisten Elio di Rupo gebildet, in Dänemark amtiert die Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt als Regierungschefin, seit Ende April ist ein Sozialdemokrat in Rumänien neuer Ministerpräsident, und in Österreich führt seit Ende 2008 der Sozialdemokrat Werner Faymann die Geschäfte als Bundeskanzler. Auch in der Slowakei und in Zypern gab es einen Linksschwenk. Und welche politischen Veränderungen in den Niederlanden nach der Aufgabe des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte anstehen, ist noch nicht absehbar. Die wahrscheinlich im September 2012 stattfindenden Wahlen werden hier mehr Klarheit schaffen.

Diese Entwicklung stellt insbesondere eine Herausforderung für die christlichen Volksparteien dar, die nach 1945 ihren Siegeszug antraten. In Belgien waren 45 Jahre lang Christdemokraten an der Macht, die Bundesrepublik wurde knapp zwei Drittel ihrer Geschichte von CDU/CSU regiert. Der Parteienforscher Karsten Grabow schreibt in einer aktuellen Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung über die christlich-demokratischen Parteien in Westeuropa zu Recht, diese hätten sich seit 1945 „zu politischen Schwergewichten in Europa“ entwickelt. Zum christlich-demokratischen Selbstverständnis gehört daher weniger eine akribische Programmarbeit, sondern in erster Linie die Regierungsbeteiligung. Doch da sich die C-Parteien seit etwa Mitte der 1980er Jahre im Abwind befinden, wird es immer schwieriger, dieses Ziel zu erreichen.

Die stärksten Verluste seit 1990 hat der Christen Democratisch Appèl in den Niederlanden zu verzeichnen. Der CDA verlor in dieser Zeit bei Wahlen 21,6 Prozent. An zweiter Stelle folgt schon die deutsche Union, die immerhin rund zehn Prozent Stimmverluste hinnehmen mußte. Die stärksten Zugewinne konnte Fine Gael mit plus 11,6 Prozent in Irland verzeichnen, gefolgt von plus 7,3 Prozent bei den Christdemokraten in Portugal.

Grabow zufolge werden die christlich-demokratischen Parteien in Westeuropa möglicherweise frühere Mitgliederstärke und Organisationskraft verlieren, doch nicht zwangsläufig ihre politische Bedeutung. „Beim Blick auf die aktuelle Situation der westeuropäischen Christdemokratie fällt eine recht hohe Erfolgsvarianz auf, wobei noch immer eine Exekutivbeteiligung dominiert: In Deutschland, Irland, Luxemburg und in Malta stehen christlich-demokratische Parteien gegenwärtig an der Spitze der Regierung. In Belgien, Finnland, den Niederlanden, Österreich, Portugal und Schweden sind sie als Juniorpartner an Koalitionsregierungen beteiligt“, so Grabow.

Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) kämpft sogar um ihren Status als Volkspartei, da sie zuletzt nur im 20er-Prozentbereich angesiedelt gewesen sei (als „magische“ Grenze für eine Volkspartei gelten 30 Prozent plus X).

Doch wie soll die Wende gelingen? Die Antworten Grabows fallen vage aus. Die von ihm genannten möglichen Zukunftsthemen christlich-demokratischer Parteien wie innerer Zusammenhalt, Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit, Umweltpolitik, Familienförderung und Bildungspolitik, werden auch von anderen politischen Parteien besetzt. Allein die Forderung, die C-Parteien müßten sich für die weitere Gestaltung der EU als „Regel- und Stabilitätsunion“ einsetzen, könnte ein Alleinstellungsmerkmal sein, da die politische Linke in Europa andere Ziele verfolgt. Doch es bleibt die Frage, ob die EU nicht längst vom Weg der Tugend abgewichen ist – und mit welchen christlich-demokratischen, konservativen oder rechtsliberalen Partnern Angela Merkel mühsam Kurs in Richtung Schuldenbremse halten will. Um die Kapitänin auf der deutschen und europäischen Brücke wird es zusehends einsamer.

Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Der Bonner Politikwissenschaftler Tilman Mayer sieht die CDU als „Erfolgs- und Volkspartei in der bundesdeutschen Geschichte“ jedenfalls noch nicht am Ende. Zwar mache ihr ein immer unübersichtlicher werdendes Parteiensystem das Leben erkennbar schwerer. Die SPD aber mit ihren drei Kanzleraspiranten sei nicht die wahre Bedrohung. Mayer hält es eher für bedenklich, daß immer mehr Bürger, die eigentlich zur CDU tendieren, aus Frust der Wahlurne fernbleiben. Sie fallen in Apathie. Daß der überforderte Generalsekretär Hermann Gröhe dem etwas entgegenzusetzen hätte, bleibt fraglich. Zu offensichtlich ist die „Mobilisierungsschwäche“ der Union mittlerweile geworden. Mayer empfiehlt der CDU, sie müsse den Gedanken der Leistungsgesellschaft wieder stärker betonen: „Das betrifft sowohl die Familien, die Kinder haben, als auch die arbeitende Bevölkerung, als auch Unternehmerinnen und Unternehmer, die Eigeninitiative zeigen und Verantwortung übernehmen.“ Im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf mußte man hingegen bisweilen den Eindruck gewinnen, daß es in der Politik zusehends darum geht, welche politische Kraft mehr Kita-Plätze schafft.

Ähnlich wie Mayer argumentiert Dietmar Halper von der Politischen Akademie der ÖVP. Die Zeiten „postmaterialistischer Nabelschau und skurriler Orchideenthemen“ seien vorbei. Politik müsse sich wieder den harten ökonomischen Realitäten stellen: „Ein neues Prekariat ist entstanden, die Mittelschicht schmilzt ab, Zuwanderung kostet den Staat mehr als er davon profitiert, Reallöhne der Erwerbstätigen stagnieren, die österreichische Bevölkerung wird älter, die langfristige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme ist nicht gesichert.“ Die Aussage zur Zuwanderung wäre aus dem Munde eines Wissenschaftlers der KAS oder eines C-Politikers in Deutschland allerdings mittlerweile fast undenkbar.

Einen anderen Akzent setzt der niederländische Politologe Paul Lucardie. Er rät den holländischen Christdemokraten zu einem „Linksruck im sozio-ökonomischen Bereich“, der aber nicht zu plötzlich vonstatten gehen dürfe, um die letzten Stammwähler nicht zu verunsichern.

Ob man so Vertrauen bei den Wählern gewinnen kann, erscheint fraglich. Letztlich – so ein Fazit zur KAS-Studie – fehlt die zündende Idee, wie die Erfolgsgeschichte der christlichen Demokratie in Westeuropa fortgeschrieben werden könnte.

Foto: Längst vergangene Machtfülle: Berlusconi, Sarkozy und Merkel beim G20-Gipfel in Toronto (27. Juni 2010)

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