© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Ein Land zwischen Angst und Wut
Italien: Ein Komiker mischt die politische Szene auf / Stetig wachsendes Mißtrauen gegenüber den etablierten Parteien
Paola Bernardi

Die Würde wiegt mehr als das Leben eines Menschen“, stand auf dem Abschiedsbillet, bevor sich der 72jährige Pietro Paganelli in seinem Büro mit einer Pistole in den Kopf schoß. Die Steuerbehörde hatte ihm zuvor einen Bescheid über 30.000 Euro gesandt. Dann stellte sich jedoch heraus, daß die amtliche Berechnung falsch war. Ein neuer Zahlungsbefehl über 15.000 Euro wurde zugestellt. Doch auch diese Summe war immer noch zuviel für die kleine Werkstatt bei Neapel, die Motorboote repariert.

Das Drama der Selbstmorde nimmt kein Ende. Schon beläuft sich die Zahl „der Opfer der Rezession“ in diesem Jahr auf 75 (2011 waren es insgesamt 100). Angesichts der täglichen Dramen hat sich jetzt eine Bewegung der Hinterbliebenen gebildet, die sogenannten „weißen Witwen der Rezession“, die erstmals in Bologna demonstrierten. Sie hielten Schilder in die Höhe mit der Aufschrift „Laßt uns leben!“

Die Kritik und die Wut gegenüber dem rigiden Sparkurs der Regierung von Mario Monti wird immer heftiger.

Einen anderen Weg, seine Wut und Verzweiflung auszudrücken, wählte ein italienischer Steuerschuldner in einem kleinen lombardischen Ort, der mit einem Pumpgun stundenlang in der Finanzbehörde Geiseln genommen hatte. Es ging um eine zurückliegende Steuerschuld von 2.000 Euro.

Die Flitterwochen der Regierung Monti mit den Italienern scheinen sich dem Ende zuzuneigen. Der Ministerpräsident selber wehrt sich: „Über die Auswirkungen der Krise auf die Menschen sollten sich diejenigen Gedanken machen, die Italien in diesen Zustand trieben; nicht diejenigen, die einen Ausweg suchen“. Damit zielte er direkt auf das frühere rechte Regierungsbündnis von Silvio Berlusconi (PDL) und Umberto Bossi (Lega Nord). Diese Äußerung löste nicht nur im rechten politischen Spektrum Zorn aus: „Der Ton des Ministerpräsidenten wird von Tag zu Tag arroganter“, so Massimo Donati von der linken Fraktion IdV (Italien der Werte). Innerhalb des Mitte-Rechts-Lagers (PDL) wird der Druck auf Berlusconi immer stärker, mit der Notstandsregierung von Mario Monti zu brechen. Bisher unterstützte der frühere Ministerpräsident den Sparkurs seines Nachfolgers.

Doch nicht nur Wut und Verzweiflung herrschen in Italien vor, hinzu kommt nun auch noch die Angst vor der Rückkehr der berüchtigten „bleiernen Jahre“, die das Land längst zu vergessen glaubte. Auf offener Straße wurde in Genua dem Top-Unternehmer von Ansaldo Nucleare, Roberto Andinolfi, gezielt in die Beine geschossen. Als Täter bekannte sich die „Informelle Anarchistische Föderation“ (FAI). In den 1970er Jahren hatten die „Roten Brigaden“ ihren Krieg gegen den Staat begonnen. Damals waren Industrielle, Gewerkschaftler, Richter und Journalisten die Opfer, die durch Beinschüsse verletzt wurden.

In diesem aufgeheizten Klima fanden nun Kommunalwahlen im ganzen Land statt. Die Wahlergebnisse spiegeln das verstärkte Mißtrauen der Bürger gegen die etablierten Parteien wider. Unter der Wut auf die „Politikerkaste“ hatte besonders das Rechts-Mitte-Lager unter Berlusconi zu leiden. Es erlitt die meisten Verluste. Doch auch die größte linke Partei, die Partito Democratico (PD), konnte kaum profitieren. Und die Idee, einen dritten Pol zu gründen – von christdemokratischen und zentrischen Kräften –, mußte aufgegeben werden.

Großer Sieger dieser Kommunalwahlen sind die erstmals kandidierenden „Grillini“ unter dem Komiker Beppe Grillo mit seiner „5-Sterne-Bewegung“ (Movimento 5 Stelle). Sie wurden zur drittstärksten politischen Kraft. In Parma schaffte es der Grillo-Kandidat aus dem Stand auf 19,5 Prozent und in Genua erreichte der Kandidat 13,9 Prozent.

Der 63jährige Komiker, Satiriker und Schauspieler, aus der Nähe von Genua stammend, hat die neue Blogosphäre schon seit Jahren politisch in Italien aufgewirbelt. Der anarchische Clown mit seiner weißen lockigen Mähne und Bart wurde zum erfolgreichsten Blogger südlich der Alpen.

Es ist eine neue Bewegung, die gewisse Ähnlichkeiten zur deutschen Piratenpartei aufweist, nur wesentlich vulgärer. Grillo hat seit Jahren ungeheuren Erfolg mit seiner Initiative V-Day. Allerdings bedeutet das bei ihm kein „Victory-Day“, sondern wurde in einen „Vaffanculo-Day“ verwandelt, was „Scher-Dich-zum Teufel-Tag“ übersetzt bedeutet. Unter diesem auffordernden Slogan konnte Grillo immerhin 500.000 Mitglieder hinter sich versammeln.

Je stärker die Italiener den Würgegriff der Krise am eigenen Leib spüren, desto mehr Zulauf gewinnt der linke Grillo das Vertrauen der Steuerzahler und der politikverdrossenen Wähler. Grillo punktet mit seiner Bürgerbewegung im Internet mit Slogans gegen die Korruption in Italiens Parteiensystem sowie für den Einsatz von direkter Demokratie. Seine Bewegung setzt stark auf Ökologie und umweltverträgliches Wirtschaftswachstum. Auch Gesundheit, Medienfreiheit, Transparenz in der Wirtschaft und der Kampf gegen die Übermacht der Finanzen sind weitere Themen.

„Die Parteien sind tote Seelen“, die bald verschwinden würden. „Sie schaden nur sich selbst“, tönt er. Und: „Das Parteiensystem ist das ‘Geschwür der Demokratie’“, lautet einer seiner Slogans. Sein rasanter Erfolg ist nur der Ausdruck des wachsenden Unmuts der Italiener.

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