© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Reformen mit Hintertüren
Rußland: Nach seinem dritten Amtsantritt setzt Präsident Putin auf neue Akzente / Abkehr vom Europäischen Haus
Thomas Fasbender

Seit gut einer Woche ist Wladimir Putin wieder Präsident der Russischen Föderation. Anders als 2000 und 2004 war sein dritter Amtsantritt von erheblichem Widerstand begleitet, in erster Linie seitens der urbanen Mittelschichten, deren Unmut sich nicht im Murren über „die da oben“ erschöpft. Mehrere Großdemonstrationen seit den Parlamentswahlen im Dezember 2011 hatten Zehntausende auf die Straße gebracht, und noch am Vorabend der Inauguration waren in Moskau Tausende Oppositionelle unterwegs.

Weiterhin ist offen, ob die kommenden sechs Jahre von einem „neuen“ Putin, einem Putin 2.0 oder gar 3.0, geprägt sein werden. Menschen aus seiner Umgebung trauen ihm jedenfalls taktische Anpassungen zu. Putins Pressesprecher, Dmitri Peskow, nannte seinen Chef am Tag des Amtsantritts einen direkten, unverschnörkelten Staatsmann, der nicht sich selbst, sehr wohl aber seine Methoden ändern könne.

Aus Putins Umgebung hört man, wie lästig ihm inzwischen die Treffen mit westlichen Politikern seien, die er weithin nur noch als überflüssige Lehrveranstaltungen in Sachen Demokratie empfinde. Seine Absage der Teilnahme am bevorstehenden G8-Gipfel im amerikanischen Camp David gibt eine Vorstellung davon, daß er dies dem Westen spüren lassen wird. Bei dem Gipfel Mitte Mai wird der Amtsvorgänger Dmitri Medwedew, der erwartungsgemäß zum Premierminister ernannt wurde, Rußland vertreten. Beobachter gehen davon aus, daß die über vier Jahre eingespielte Arbeitsteilung fortgesetzt wird und Medwedew auch künftig den Part des modernen, weltoffenen Rußlands übernimmt.

Ändern dürften sich einige außenpolitische Akzente. Wie schon in den Vormonaten hat Wladimir Putin bei seinem Amtsantritt betont, er wolle Rußland zu einem Motor Eurasiens machen. Nach russischem Verständnis verbirgt sich darin das Bekenntnis zu einer gleichgewichtig auf Europa und Asien fokussierten Politik, die Hinwendung zu den an Bedeutung gewinnenden Ländern China, Indien und Iran – und implizit die Abkehr vom Begriff des „europäischen Hauses“. Gleichzeitig weiß der Präsident genau, wie wichtig die anhaltende Präsenz des Westens in Afghanistan für seine Politik ist. Die Nato-Truppen am Hindukusch halten den immer selbstbewußter auftretenden Iran in Schach; nur so kann Rußland einigermaßen ungestört seine Stellung in Zentralasien ausbauen, in den Ex-Kolonien des Zarenreichs.

Nach Lage der Dinge ist eine Politik, die auf Distanz zu dem aus russischer Sicht im Niedergang begriffenen Europa geht, der Unterstützung einer großen Mehrheit unter Volk und Elite gewiß. Diese Zustimmung kann Putin auf dem Feld der Innenpolitik gut gebrauchen, wo sich wichtige Teile der produktiven Bevölkerung, allen voran die jüngere Generation in den Städten, von ihm abgewandt haben.

Der Zorn richtet sich gegen mangelnde Bürgerrechte, besonders aber gegen die grassierende Korruption und die Vetternwirtschaft in den oberen Rängen der Gesellschaft.

Die Stärkung der Bürgerrechte ist noch das kleinere Problem. Vorgänger Medwedew hat in den vergangenen Monaten – und sicher nicht ohne Putins Zustimmung – einige erste Schritte eingeleitet: Wiedereinführung der Volkswahl der Provinzgouverneure ab 2013 und ein deutlich vereinfachtes System der Parteienregistrierung. Es sind Reformen mit Hintertüren, doch Irina Starodubrowskaja vom regierungskritischen Gaidar-Institut für Ökonomie hat recht mit ihrer Aussage, es handele sich zwar um halbherzige Maßnahmen, die dennoch in die richtige Richtung zielten.

Auch in der Nationalitätenfrage vertritt Putin eine Position der Mitte. Als im April die Kommunisten im russischen Parlament versuchten, die Beschreibung des Staatsvolks in der Präambel zur Verfassung („multinationales Volk“) durch die Formel „das russische Volk und die, die sich ihm angeschlossen haben“, zu ersetzen, hat er – seinerzeit noch als Premier – diesen Vorschlag unmißverständlich und mit vernünftigen Gründen zurückgewiesen.

Ob Putin der Lieblingsfeind der westlichen Medien bleibt, halten Beobachter für weitgehend irrelevant. Auch von der Opposition geht keine Gefahr aus. Sie ist zerstritten und ohne einigende Führerfigur. Der linksradikale Sergej Udalzow und der bekannte Blogger Alexej Nawalnij sind sich bestenfalls in der Kritik an zentralasiatischen Zuwanderern einig. Letztlich hängt die politische Zukunft des Präsidenten wie in den Vorjahren also davon ab, inwieweit er seine Autorität als Schiedsrichter der Fraktionen und Klüngel innerhalb der russischen Geld- und Machtelite wirksam zur Geltung bringen kann.

Foto: Präsident Putin und Premier Medwedew bei der Siegesparade auf dem Roten Platz (9. Mai): Die bewährte Arbeitsteilung wird fortgesetzt

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