© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Islam oder Hölle
Salafisten: Die religiös-politischen Sieger der nordafrikanischen „Arabellion“ treten auch in Deutschland immer selbstbewußter auf
Bodo Bost

Die Salafisten sind die neue aufstrebende Kraft auf der politischen Bühne des Islam. Es gibt wohl kein arabisches und kaum ein westliches Land mehr, in dem sie nicht ihren politischen Einfluß ausdehnen. Ägypten liegt im Zentrum der arabischen Welt, hier begegnen und vermischen sich viele religiöse und politische Strömungen aus dem islamischen und arabischen Raum. Hier liegt auch der Ursprung der salafistischen Bewegung als politischer Kraft. Ihr politischer Arm, die Nour-Partei, ist die zweitstärkste Kraft im neuen ägyptischen Parlament. Ihr Präsidentschaftskandidat Hasim Abu Ismail hatte bis zu seinem Ausschluß durch die noch herrschenden Militärs die besten Chancen nächster Präsident Ägyptens zu werden. Besonders viele Stimmen gewinnen die Salafisten in den Armenvierteln.

Salafismus bedeutet eine geistige Rückbesinnung auf die „frommen Altvorderen“ (auf arabisch: „as-salaf as-salih“, siehe Kasten). Salafisten richten ihre religiöse Praxis streng am Vorbild des Propheten Mohammed aus. Sogar in Kleidung und Barttracht ahmen sie Berichte frühislamischer Zeugen über den Propheten nach. Mit Hilfe von Koran und Scharia wollen sie zurück in die Zeiten des Propheten. Theologie und Mystik, die den Islam einst zu höchster Blüte gebracht haben, lehnen sie ab.

Der Salafismus als politische Bewegung entwickelte sich ebenso wie liberale Strömungen im Islam aus der Nahda (Wiedergeburt-)Bewegung, die sich als Reaktion auf die französische Besatzung Ägyptens von 1798 bis 1801 gebildet hatte. Die Konfrontation mit Napoleon und seinen Truppen erschütterte Ägypten bis in seine Grundfesten. Es war der erste Zusammenstoß mit der technologischen, militärischen und administrativen Überlegenheit Europas, von dem Ägypten seit den Kreuzzügen abgeschnitten war. Die Ägypter stellten sich die Frage, welche Rolle der Islam in dieser Unterlegenheit gegenüber Europa spielte. Die Salafisten sahen den Grund der Rückschrittlichkeit des Islam in der Vernachlässigung der Religion. Deshalb fordern sie die Rückkehr zu den Wurzeln des Islam und dadurch eine Erneuerung der Gesellschaft.

Seit den siebziger Jahren kämpften in Ägypten militante salafistische Gruppen, wie die „takfir wa-l-Hijra“ oder später die „gama’a islamiya“ mit Gewalt für eine Erneuerung der Gesellschaft gegen das herrschende Regime. Sie gründeten unter Führung von Mustafa Shukri in der westlichen ägyptischen Wüste ein Kalifat, von dem aus sie Attentate gegen das Regime und gegen Touristen durchführten. Diesen Gruppen wird auch der Mord an Präsident Anwar as-Sadat 1981 angelastet.

Ursprünglich war das Hauptanliegen der Salafisten die Missionsarbeit („Da’wa“), der Ruf zum Islam, eine Pflicht für alle Moslems. Sie bilden eine Vielzahl von Gruppen, die sich um bekannte Salafisten-Sheikhs gruppieren. Feste Strukturen lehnen sie ab. Ursprünglich wurden Moscheen für die Verbreitung ihrer Botschaft und die Rekrutierung neuer Mitglieder genutzt, heutzutage haben auch Satellitenfernsehkanäle und Internetseiten diese Funktion übernommen. Über das Zakat-Gebot (religiöse Almosen, die für Moslems Pflicht sind), die in Ägypten von den Moscheegemeinden eingesammelt werden, und Spenden und Zuwendungen aus Saudi-Arabien, die über religiöse Nichtregierungsorganisationen und Institutionen ins Land kommen, erlangten die Salafisten zusammen mit den Muslimbrüdern die Kontrolle über weite Teile des Sozial- und Bildungssektors des Landes.

Die Salafisten sind heute stark vom Wahhabismus beeinflußt, der extrem „puritanischen“ Staatsdoktorin Saudi- Arabiens. Der salafistische Glaube ist die moderne Version der wahhabitischen Auslegung im Islam. Die Bezeichnung „Salafisten“ wird jedoch nicht für die saudischen Wahhabiten gebraucht. Diese in Saudi-Arabien beheimatete Strömung ist innerhalb des Islam lange Zeit als primitiv und abseits stehende Sekte angesehen worden. Der überraschende Aufstieg der Salafisten verdankt sich dem Geld der saudischen Ölscheichs und ihrer simplen Botschaft. Mittlerweile werden Wahhabismus und Salafiyya teilweise austauschbar verwendet.

Die salafistische Bewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts gilt als Vorläufer des sunnitischen Islamismus im Sinne einer politischen Ideologie, die einen islamischen Staat errichten möchte. Sie betont die rigide Trennung von Mann und Frau – nicht nur in der Moschee, sondern insgesamt im öffentlichen Raum. Die Taliban in Afghanistan lehnen sogar Schulbildung für Mädchen grundsätzlich ab. Der Zuwachs der Salafisten in den nordafrikanischen Staaten der sogenannten „Arabellion“ hat auch den ideologisch verwandten Gruppen in Europa Auftrieb gegeben. In Deutschland traten die Salafisten seit dem Osterwochenende mit der Aktion „Lies!“ in zahlreichen deutschen Städten in Erscheinung und verteilten kostenlose Exemplare des Koran. Die Aktion an sich war zwar wenig erfolgreich, da der Koran als Werbemedium ungeeignet ist, weil er auch in deutscher Übersetzung nur schwer oder gar nicht zu verstehen ist. Auch wurde nicht bekannt, daß aus Absicht oder auch Unachtsamkeit ein Koran geschändet oder entsorgt wurde, wodurch sich fundamentalistische Muslime hätten angegriffen fühlen können. Selbst innerhalb der salafistischen Szene ist die Koranverteilung nicht unumstritten.

Die deutsche Öffentlichkeit reagierte auf die Offensive der Salafisten relativ hilflos. Überrascht war man auch von der Gewaltbereitschaft und dem Organisationsgrad der Salafisten, die bei Konfrontationen mit der Partei Pro NRW im nordrhein-westfälischen Wahlkampf zum Vorschein kamen. Als einer der Drahtzieher der Gewalt der Salafisten in Solingen und Bonn und mutmaßlich auch als Mittelsmann zum Stammland der Salafisten gilt der Deutsch-Ägypter Reda Seyam (JF 19/12). Seyam, der in Berlin lebt, soll bereits in die Anschläge von Bali 2002 verwickelt gewesen sein, er wurde – als Kameramann getarnt – auch bei den Ausschreitungen in Bonn gesehen.

In Deutschland ist zwar nicht wie in Ägypten das Massenelend der Humus des Salafismus, aber auch in Deutschland gibt es viele moslemische Einwanderer, die sich am Rande der Gesellschaft fühlen. Vor allem junge Menschen in Krisenlagen, die auf der Suche nach Identität, Orientierung und Anerkennung sind, können sich von der salafistischen Propaganda, die auf komplexe Fragen des täglichen Lebens vereinfachende Antworten hat, angesprochen fühlen. Muslime, die sich nicht verstanden und in die Ecke gedrängt fühlen, sind die Hauptzielgruppe der Salafisten. Diesen Gruppen möchte man mit Provokationen ihre „Ehre“ wiedergeben und mit dem Koran gleichzeitig der Da’wa-Verpflichtung nachkommen.

Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sollen der salafistischen Bewegung etwa 3.000 bis 4.000 Personen angehören, mit Zentrum in Nord-rhein-Westfalen. Es sind meist junge Menschen mit durchaus guter Bildung; auch immer mehr Deutschstämmige sind unter ihnen. Der Salafismus manifestiert sich in vielen Formen, etwa auf Webseiten im Internet, über Veranstaltungen und Vorträge, aber auch durch feste Strukturen in Form von Moschee-Vereinen. Salafistische Treffpunkte sind der (inzwischen offiziell aufgelöste) Verein „Einladung zum Paradies“ und die Internetplattform „Die wahre Religion“ im Raum Köln/Bonn. Obwohl lokal verankert, haben die Aktivitäten beider Vereine eine bundesweite Ausstrahlung.

In Deutschland spielen nicht Sheikhs die Rolle der Führer, sondern junge, oft charismatische Prediger. Sie beherrschen die deutsche Sprache wie auch die typische Ausdrucksweise der Jugendlichen. Sie verweisen gerne darauf, die gleichen Probleme durchlebt zu haben wie ihr Publikum. Der bekannteste ist der Ex-Profiboxer Pierre Vogel alias Abu Hamza, weniger bekannt sind der frühere „Gangsta“-Rapper „Deso Dogg“, eigentlich Denis Mamadou Cuspert mit dem Predigernamen Abou Maleeq, der in seinen Liedern zum Heiligen Krieg aufgerufen hatte, sowie der Kölner Unternehmer und Initiator der Koran-Aktion, der Palästinenser Ibrahim Abou Nagie. Von ihm stammt der Satz: „Alle Christen und Juden kommen in die Hölle, wenn sie nicht den Islam annehmen“.

Allgemein gilt bislang: „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist; aber fast alle bislang in Erscheinung getretenen islamistischen Terroristen waren irgendwann einmal in salafistischen Kreisen unterwegs“, so Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).

Ein gutes Beispiel ist der Kosovare Arid Uka, der im März 2011 am Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten erschossen und zwei weitere verletzt hatte, und vor der Tat über das Internet Kontakt zu Salafisten hatte. Alle islamistischen Terroristen des 11. September 2001, des bislang schwersten Terroranschlages in der amerikanischen Geschichte, gehörten der salafistischen Strömung an, viele davon waren in Deutschland ausgebildet worden.

Das dualistische Weltbild der Salafisten, das die Menschheit in „gläubig“ und „ungläubig“ einteilt, kann leicht als Rechtfertigung für Terrortaten gegen die sogenannten Ungläubigen herhalten.

 

Die Wurzeln des Salafismus

Der Salafismus (von „as-salaf as-salih“, die frommen Altvorderen) ist die maßgeblich vom ägyptischen Rechtsgelehrten und Großmufti Muhammad Abduh (1849–1905) sowie dem Libanesen Rashid Rida (1865–1935) beeinflußte Richtung des Reformislam.

Sie vertraten die Auffassung, daß der Geist der ersten islamischen Gemeinde auch als Vorbild für eine moderne islamische Gemeinschaft dienen sollte. Die Rückständigkeit der islamischen Staaten gegenüber dem Westen sahen Abduh und sein Schüler Rida darin begründet, daß der Islam mit Aberglauben verunreinigt und nicht mehr „klar“ war. Daß die Religion von störendem Beiwerk gereinigt werden müsse, war auch Überzeugung Muhammad Ibn Abd al Wahhabs (1703–1791), des Begründers der wahhabitischen Bewegung, die in Saudi-Arabien Staatslehre ist.

Rashid Rida sah in den rigoros vorgehenden Wahhabiten die Verfechter des reinen Islam. Erklärtes Ziel der Salafisten ist die Einheit aller Moslems und die unbedingte Berufung auf den Koran sowie die prophetische Tradition (Sunna).

 

Salafisten in Deutschland

Da es sich beim Salafismus um eine Bekenntnisbewegung und nicht um eine Organisation mit festen Strukturen handelt, ist es schwierig, eine möglichst genaue Anhängerzahl zu ermitteln. Verfassungsschutzbehörden nennen eine Zahl von etwa 3.800 Salafisten in Deutschland. Damit stellen sie quantitativ eine Minderheit dar. Dem Salafismus werden beispielsweise die Mitglieder der terroristischen „Sauerland-Gruppe“ zugerechnet. Gegen den salafistischen Verein „Einladung zum Paradies“ hat das Bundesinnenministerium ein Verbotsverfahren eingeleitet. Vereinschef Muhamed Ciftci hat die Organisation daraufhin aufgelöst.

Foto: Fahne des Propheten: „Es gibt keinen anderen Gott außer Allah“. Das islamische Glaubensbekenntnis dient zur Rechtfertigung eines „Heiligen Krieges“

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