© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Schuß vor den Bug
Kriminalität: Während der Bundestag über einen Warnschußarrest für junge Straftäter debattiert, eröffnet Berlin ein neues Jugendgefängnis
Henning Hoffgaard

Die Szenerie wirkt fast idyllisch. Auf dem Hof stehen einige bunte Sonnenliegen, ein wenig abseits in der Nähe eines Gartenhauses arbeitet eine Gruppe Jugendlicher. Es gibt Fußball-, Volleyball- und Basketballplätze, Getränkeautomaten, Tischtennisplatten und Blumenbeete. Lediglich die fünf Meter hohe graue Mauer und die Überwachungskameras verraten dem Besucher, daß er sich hier nicht in einem Freizeitlager, sondern einem Gefängnis befindet. Genaugenommen in der Jugendarrestanstalt Berlin – tief im von Einfamilienhäusern geprägten bürgerlichen Süden der Hauptstadt.

Für die offizielle Eröffnung der Arrestanstalt haben sich in der vergangenen Woche eigens Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) und der Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak (CDU) angekündigt. Angesichts der deswegen notwendigen Sicherheitskontrollen war es wohl erstmals schwerer, in die Anstalt zu gelangen, als wieder herauszukommen. Mit einem beträchtlichen Troß an Journalisten und Fotografen besichtigten die Politiker dann die Anlage. Ein moderner Werk-raum, mit Fernsehern ausgestattete Gemeinschaftsräume jeweils für männliche und weibliche Häftlinge und schließlich auch die etwa zehn Quadratmeter großen Einzelzellen. Friedrich unterhält sich kurz mit den Angestellten. „Diese Decke hat schon so manchen Häftling gesehen“, scherzt er, als er in einer Zelle ein Bett mit einer Wolldecke entdeckt, auf der steht: „Land Berlin 1997“.

Wie wichtig die neueröffnete Arrest-anstalt ist, zeigt bereits ein Blick auf die nackten Zahlen. 2009 brauchten 197 Jugendliche ihren Jugendarrest in Berlin nicht anzutreten, weil dem Land schlicht die Plätze fehlten. 2010 und 2011 waren es schon weit über 200, die davonkamen. Selbst noch in den ersten drei Monaten dieses Jahres konnten 61 Arreststrafen nicht vollzogen werden. Anstaltsleiter Thomas Hirsch erklärt zuerst einmal den Unterschied zwischen einer Arrest- und Jugendstrafe. Während Arreststrafen maximal vier Wochen dauern, zum Teil auch an Wochenenden und Nachmittagen abgesessen werden können und bei eher geringfügigen Delikten wie Diebstahl verhängt werden, sind zu Jugendstrafen Verurteilte in anderen Justizvollzugsanstalten untergebracht.

Für fünfzig männliche und zehn weibliche Arrestanten bietet die neue Einrichtung Platz. Der Zuwandereranteil ist dabei „hoch“, wie Heilmann eingesteht. Betreut werden die 60 Jungkriminellen von mehr als 30 Justizbeamten, Sozialarbeitern und Erziehern. Nachdem Friedrich all das gelobt hat und noch einmal bekräftigt, wie wichtig es sei, die hier untergebrachten Jugendlichen „für die Gesellschaft zu gewinnen“, kann er endlich etwas zum Warnschußarrest sagen, dem eigentlichen Grund seiner Visite. Denn mit diesem soll es Jugendrichtern künftig ermöglicht werden, bei Strafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, zusätzlich einen Arrest von wenigen Wochen zu verhängen. Die Idee dahinter ist einfach: Während viele jugendliche Kriminelle, die zum Teil erhebliche Straftaten begangen haben, ihre Bewährungsstrafen als Freispruch empfinden, müssen wegen geringerer Verbrechen Verurteilte ihren Arrest auch antreten.

Trotz Friedrichs nachvollziehbaren Argumenten ist der Widerstand gegen die Pläne groß. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), mit der Friedrich sich seit Monaten einen giftigen Kleinkrieg um die Vorratsdatenspeicherung liefert, ließ bereits Vorbehalte durchblicken. Noch deutlicher ist die Kritik aus den Reihen der Opposition. SPD, Grüne und Linkspartei verweisen auf die angeblichen Risiken der geplanten Gesetzesänderungen. So würden die Jugendlichen Straftäter „im Knast nicht abgeschreckt, sondern erst richtig angesteckt“, wie etwa der SPD-Abgeordnete Burkhard Lischka befürchtet. Jörn Wunderlich von der Linkspartei forderte einen Verzicht auf den Arrest zugunsten sogenannter „Anti-Aggressionsmaßnahmen“. Nachdem es jedoch immer wieder zu brutalen Überfällen von Kriminellen kam, die ein derartiges „Präventionstrainig“ absolviert hatten, sind derartige Vorstöße der Bevölkerung allerdings kaum noch vermittelbar. Selbst Anstaltsleiter Hirsch hält von den Plänen des Innenministers zum Warnschußarrest offenbar recht wenig. Schon der Name erinnere ihn an „militärische Begriffe“. Die Arrestanstalt sieht er selbst als
„pädagogische Einrichtung“. Überhaupt sei das ganze Vorhaben aktionistisch und nur dafür da, „um das Volk zu beruhigen“, kritisiert der Anstaltsleiter.

Friedrich und Heilmann ficht das nicht an. Mehr als 11.000 Bewährungsstrafen seien allein 2010 von Jugendrichtern verhängt worden. Nicht wenige der Verurteilten verstießen danach gegen die Gerichtsauflagen, ohne schwere Konsequenzen fürchten zu müssen. Das soll der Warnschußarrest nun ändern.

Bei dem bereits in erster Lesung im Bundestag diskutierten Gesetzesvorschlag gibt es jedoch noch einige Schwachstellen. So können Jugendliche, die bereits in Untersuchungshaft gesessen oder zu einer Arreststrafe verurteilt wurden, nicht mehr mit einem Warnschußarrest sanktioniert werden. Dennoch erinnert vieles an das „Neuköllner Modell“ der 2010 ums Leben gekommenen bekannten Jugendrichterin Kirsten Heisig.

Deren Ziel war es, junge, meist ausländischstämmige Täter selbst schon bei kleinen Strafen mit den Konsequenzen ihres Handelns zu konfrontieren. Und das nicht erst Monate nach ihren Taten, sondern wenige Wochen danach. Diese Schnelligkeit ist im Gesetzgebungsverfahren für den Warnschußarrest allerdings nicht zu erwarten. Wann die Regelungen in Kraft treten können, steht noch nicht fest, und ob sie einen Regierungswechsel im Bund überleben würden, ist wenig wahrscheinlich. Dennoch zeigt sich Friedrich ganz zufrieden mit seiner, wie er sich ausdrückt, „konservativen Sicherheitspolitik“. Dabei gehe es vor allem um eines, sagt der Christsoziale: „Den Schutz der Bürger.“

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